Was ich dir noch sagen will
hielt und mit Katjas Hilfe alles im Griff hatte, wollte sie sich wenigstens kurz bei ihr blicken lassen und sich noch einmal für ihre Unterstützung bedanken.
Lisa war so froh, dass Jutta ihr das Gefühl gab, nicht auch noch ihretwegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Sie konnte also ganz für Erik da sein.
Als Jutta sich nun besorgt nach Eriks Befinden erkundigte, war Lisa ein kleines bisschen erleichtert, dass sowohl Katja als auch noch eine Kundin im Laden waren. Auf keinen Fall wollte Lisa die Fassung verlieren. Daher beschränkte sie sich auf die wenigen Fakten, die ihre eigene Hoffnung nährten, und hielt ihre äußere Fassade aufrecht. Wäre sie mit Jutta allein gewesen, hätte sie ganz sicher den Halt verloren.
Wenig später sackte sie erleichtert wieder auf den Beifahrersitz und ließ sich von Lenny nach Hause fahren. Als ihr Bruder dann allerdings vorschlug, bei Ed eine Kleinigkeit zu essen, musste Lisa kapitulieren. Abgesehen davon, dass sie absolut keinen Hunger, geschweige denn Appetit hatte, quälte sie die Vorstellung an ihr gemeinsames Lieblingslokal. Sie konnte nicht einfach dort einkehren, als wäre alles wie immer.
Alles, was Lisa mit Erik in Verbindung brachte, war zwar einerseits tröstlich und auf eine beruhigende Weise vertraut. Andererseits machte genau diese Nähe es ihr unmöglich, solche bedeutungsschweren Aktivitäten auch nur im Ansatz zu genießen. Lisa mochte nicht einmal daran denken, wie es sein würde, wenn sie morgen früh allein in dem großen Bett aufwachen und niemand im Bad fröhlich vor sich hin summen oder Kaffee kochen würde. Sie war heilfroh, dass sie die nächsten Stunden nicht allein verbringen musste – allein in ihrer Wohnung, wo jeder Gegenstand, jedes Geräusch und jeder Geruch die Sehnsucht nach Erik unerträglich machte.
«Was ist das denn?», fragte Lenny etwas abschätzig, als er wenig später einen Blick auf die Wunschliste am Kühlschrank warf.
Lisa suchte gerade nach etwas Essbarem für ihn.
«Die Welt verbessern?», bohrte Lenny weiter. «Husky-Schlitten fahren? Tango-Kurs? Ist das diese ominöse Liste?» Er sah Lisa mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Lisa holte eine Pizza aus dem Eisfach und hielt sie ihrem Bruder mit einer fragenden Geste vors Gesicht. Lenny nickte, nahm ihr die Packung ab und machte deutlich, dass er sich selbst um sein Essen kümmern würde.
«Na, du weißt schon», setzte Lisa an, «das ist die Liste mit unseren … unseren gemeinsamen Lebensträumen. Aber es fällt mir schwer, darüber zu reden.»
Sie wusste nicht recht, was sie zu der Liste noch hätte sagen sollen. Einerseits verspürte sie den Drang, die Idee zu verteidigen und die Punkte, die sie bereits erfolgreich abgehakt hatten, mit aller Leidenschaft vorzutragen. Andererseits schmerzte sie nicht nur die Erinnerung daran, sondern auch die Vorstellung, dass diese Liste letzten Endes ja auch ein Zeugnis ihrer Probleme war.
Während Lenny sich am Backofen zu schaffen machte, holte Lisa noch ein Bier für ihn aus dem Kühlschrank, öffnete es und stellte die Flasche auf den Tisch. Sie setzten sich beide hin und schwiegen noch einen Moment lang, bis Lenny die Stille schließlich durchbrach.
«Dann erzähl wenigstens, was genau eigentlich passiert ist an Neujahr», forderte Lenny und sah Lisa in dieser schonungslos entwaffnenden Weise an, wie es nur Geschwister können.
Lisa fühlte sich so schuldig an Eriks Unfall, dass sie es bislang nicht geschafft hatte, weder ihren Eltern noch Renate, noch ihrem Bruder von dem Streit zu berichten, der der Katastrophe vorausgegangen war.
Lisa seufzte tief. Ihre Hände zitterten, aber sie wusste, dass die Wahrheit endlich rausmusste.
«Ich bin schuld an seinem Unfall», sagte sie mit bebender Stimme.
Lenny sah sie mit weitaufgerissenen Augen an. Dann schüttelte er den Kopf. «So ein Blödsinn», entgegnete er tröstend und setzte sich zu Lisa auf die Küchenbank, um sie zu drücken.
«Doch», erwiderte Lisa mit tränenerstickter Stimme. «Ich hab ihn provoziert, und dann ist er wütend abgehauen und …»
Sie konnte nicht weitersprechen. Die Erinnerung an den schrecklichen Abend raubte ihr die Luft. Sie vergoss bittere Tränen. Und dann haute sie alles ungefiltert heraus, was ihr in den Sinn kam. Angefangen von Eriks Rückzug nach den verpatzten Flitterwochen bis zu ihren ständigen Auseinandersetzungen wegen eines Kindes. Einzig den Auslöser für die Zuspitzung an Neujahr ließ sie aus, um Lenny nicht unnötig zu
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