Was ich dir noch sagen will
im Vergleich zu ihrer jetzigen Lage nicht annähernd so dramatisch wirkte.
Der lange, schmale Gang lag vor ihr wie ein Tunnel in die Verzweiflung und Ohnmacht. Am liebsten würde Lisa stehen bleiben, sich auf den Boden schmeißen und sich ganz klein zusammenrollen. Sie wollte die Augen schließen und in einen unendlichen Schlaf fallen, der die Glückseligkeit des Traums zurückholte und den riesigen dunklen Schrecken für immer in die Flucht schlug.
«Wir haben Ihren Mann bis auf weiteres in ein künstliches Koma versetzt», erklärte die Frau in routinierten, aber freundlichen Worten. «Ich bitte Sie, sich Ihre Hände am Spender zu desinfizieren und Ihren Mann keinesfalls am Kopf zu berühren.»
«Nein, natürlich nicht», antwortete Lisa, ohne dass sie zuvor über die Worte nachgedacht hatte.
Sie gelangten schließlich zu einem Zimmer, das man vom Flur aus durch eine große Scheibe einsehen konnte. Darin standen zwei Betten. Eines davon war leer und mit einer glattgestrichenen Plastikfolie bedeckt, so, als hätte vor gar nicht langer Zeit ein gnadenloser Tod hier gründlich aufgeräumt und alle Spuren beseitigt.
Auf der anderen Seite lag ein Patient mit einem enormen Kopfverband. Um das Bett herum standen viele Geräte und Monitore, die trotz ihrer maschinellen Sterilität ein wenig Sicherheit ausstrahlten, weil sie so dicht am Krankenbett standen.
«Der Schlauch unterstützt die Atmung», erklärte die Frau und schob Lisa sanft in den Raum. «Ich lasse Sie nun ein paar Minuten allein.»
Lisa erstarrte. Als sie das monotone Piepen der Geräte vernahm, füllten sich ihre Augen sofort mit Tränen. Sie konnte kaum ausmachen, ob der kleine Ausschnitt, den der Verband und der Schlauch freiließen, wirklich zu dem ihr so vertrauten Gesicht von Erik gehörte.
Vorsichtig ging sie einen Schritt näher an das Bett heran und betrachtete voller Sorge Eriks rechten Arm, an dem Schläuche mit klaren Flüssigkeiten angeschlossen waren. Der andere Arm lag ebenfalls eng am Körper.
Ja, das sind Eriks Hände, dachte Lisa, seine schönen, starken Hände.
Ihr Mund zitterte, und sie stieß einen kleinen, herzzerreißenden Schrei aus. Reflexartig hob sie die Hand vor den Mund.
Sie musste sich zusammenreißen!, befahl sich Lisa und atmete tief durch.
Sie trat ans Kopfende des Bettes, legte den Zeigefinger auf den Handrücken von Eriks linker Hand und streichelte ihn behutsam wie ein ängstliches Kind, das zum ersten Mal mit einem fremden Tier in Berührung kommt.
Dann beugte sie sich über Eriks Gesicht und flüsterte: «Mein Lieber, ich bin es … Es tut mir alles so wahnsinnig leid! Bitte, bitte werde ganz schnell wieder gesund.»
Eine Träne fiel auf Eriks scheinbar leblosen Oberkörper. Und erst als Lisa blinzelte, konnte sie in seinem bandagierten Gesicht erahnen, wie sehr auch dieses in Mitleidenschaft gezogen worden sein musste.
Der Bereich um seine Augen war bläulich und geschwollen, und am Jochbein klebte ein großes Pflaster, durch das eine orangefarbene Flüssigkeit schimmerte. Wie in Zeitlupe fuhr Lisa mit den Augen die Bahnen des Kopfverbandes ab, die nur undeutlich erahnen ließen wie es darunter aussah. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszuschreien.
Wie gern würde sie sich jetzt einfach nur zu Erik legen und sich an ihn schmiegen, seinen vertrauten Duft schnuppern, seinen Mund küssen, sein Haar kraulen, seiner Stimme lauschen.
Ob er unter dem Kopfverband kahl rasiert ist?, fragte sich Lisa und ermahnte sich sogleich, sinnvollere Fragen an die Ärzte zu stellen.
Dabei wusste sie gar nicht, wo sie anfangen sollte. Nie hatte sie sich für medizinische Angelegenheiten interessiert. Und wenn sie in ihrem Umfeld mit Erkrankungen konfrontiert wurde, war es meist Erik gewesen, der mit gutem Rat zur Seite stand, die Beschwerden erklären konnte oder durch sein Wissen Trost spendete. Und nun war er selbst so krank, dass die Folgen sogar …
Lisa traute sich nicht, den Satz in ihrem Kopf zu Ende zu formulieren. Nein! So durfte sie nicht denken. Es würde niemals vorbei sein.
Nicht jetzt.
Nicht so.
Aber was, wenn das Schicksal doch noch vorhatte, Erik aus dem Leben zu reißen? Was, wenn der vergessene Ehering im Hotelsafe Gott einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte und dies seine Rache war?
Lisa hielt den Atem an. Wut stieg in ihr auf. Und doch musste sie wieder weinen, obwohl sie sich eigentlich viel zu schwach dafür fühlte. Viel lieber wollte sie Erik ein paar tröstende Worte ins
Weitere Kostenlose Bücher