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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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erschien es Lisa so, als wäre für das gesamte Team auf der Station eine Organspende im Fall des Falles eine nicht verhandelbare Selbstverständlichkeit. Natürlich wusste Lisa, dass Erik einen Spenderausweis besaß. Dennoch weigerte sie sich konsequent, sich damit auch nur gedanklich auseinanderzusetzen.
    Wann immer sie die Panik packte, malte sich Lisa im Geiste schnell aus, wie sie schon bald wieder gemeinsam das Leben genießen würden. Sie dachte daran, wie es sein würde, mit ihm in der Küche zu sitzen, zu essen und herumzualbern. Wie sie im Frühling gemeinsam um die Alster spazieren würden. Und wie sie schon bald den schrecklichen Streit an Neujahr belächeln würden – vielleicht sogar ein wenig dankbar, weil er sie am Ende wieder einander nähergebracht hatte. Denn eines schwor sich Lisa: Nie wieder würde sie sich einem Menschen gegenüber so respektlos verhalten, den sie so sehr liebte wie Erik.
    Die Vorstellung, dass sein Leben oder ihre Liebe vorbei sein könnten, ließ sie beinahe ersticken. Und immer wieder hörte sie die Stimme des kleinen Teufelchens, das irgendwo in einer dunklen Ecke über ihre Suizidgedanken frohlockte, für den Fall, dass sich der schlimmste Albtraum bewahrheitete.
    Was sollte sie mit ihrem Leben anfangen, wenn Erik nicht mehr der Alte wäre? Oder schlimmer noch, wenn er nie wieder aufwachen würde?
    Vorsichtig trat sie ans Krankenbett und strich Erik über den Arm. Dann öffnete sie die Schublade seines Nachttisches und holte die kleinen Zettel hervor. Sie hatte ihm auch gestern eine kurze Nachricht hinterlegt für den unwahrscheinlichen Fall, dass er von allein aufwachen würde oder aber von den Ärzten zurückgeholt wurde, ohne dass man sie rechtzeitig informiert hätte.
    Gedankenverloren betrachtete Lisa das kleine Stück Papier, das sie ebenfalls aus ihrem Kalender gerissen hatte. Mit einem Mal fiel ihr Blick auf das Datum, und sie traute ihren Augen kaum. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht irgendeinen beliebigen Tag aus ihrem Kalender, sondern ausgerechnet ihren Hochzeitstag, den 10. Oktober, erwischt hatte.
    Was für ein merkwürdiger Zufall, dachte Lisa.
    Aber vielleicht war es ja auch gar kein Zufall, sondern ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass dieser Tag doch auf ewig ihr Glückstag sein würde.
    Behutsam legte Lisa die Notiz wie eine heilige Schrift wieder zurück in die Schublade. Sie nahm sich vor, Erik nun jeden Tag ein paar Zeilen unter sein Kopfkissen zu schieben, bevor die Nachtschwester sie nach Hause schickte. Schließlich hatte er ihr stets kleine Liebesbotschaften geschenkt. Außerdem wollte sie ihm noch so vieles sagen.
    Als es an der Tür klopfte, zuckte Lisa erschrocken zusammen. Sie tat einen Schritt zur Seite, weil sie annahm, dass die Schwester nun hereinkommen und nach Erik sehen würde. Aber es war Lenny.
    Er trat leise ein und umarmte sie. Für einen stillen, kurzen Moment hielten sie sich fest umschlungen.
    «Hallo, Schwesterchen», flüsterte er. «Wie geht es dir?»
    Lennys tröstliche Art entlockte Lisa ein mattes Lächeln.
    «Gibt es was Neues? Was sagen die Ärzte?», fragte Lenny weiter und deutete auf Erik.
    «Nichts Neues», sagte Lisa leise und sank wieder auf den Stuhl zurück. Ihre Augen füllten sich mit Tränen – und das wäre eigentlich Antwort genug gewesen.
    «Es ist schon spät», erklärte Lenny. «Ich wollte dich abholen.» Er nahm Lisas Jacke und ihre Tasche zur Hand, um unmissverständlich klarzumachen, dass er sich nicht auf eine Diskussion einlassen würde.
    «Abholen? Warum?», fragte Lisa irritiert.
    «Ich bring dich nach Hause und bleibe auch über Nacht bei dir, wenn du willst.»
    Nun musste Lisa doch unweigerlich lächeln und willigte schließlich ein. «Okay, aber gib mir noch eine Minute.»
    Lenny verstand und nickte. Dann ging er zur Tür hinaus.
    Lisa machte sich sofort daran, Zettel und Stift aus ihrer Tasche zu kramen, die sie ihrer Mutter heute abgeluchst hatte. Sie schrieb:
    Mein Liebster,
    du fehlst mir so sehr ...
    Aber schon bald ist alles wieder gut,
    und ich werde jeden Tag dafür dankbar sein.
    In Liebe, deine Motte

[zur Inhaltsübersicht]
24.
    Bevor sie sich mit dem Auto durch den Feierabendverkehr zur Wohnung kämpften, hatte Lisa ihren Bruder gebeten, kurz am Laden anzuhalten.
    Bereits vor zwei Tagen hatte sie Jutta vom Krankenhaus aus angerufen und sie über den tragischen Zustand von Erik informiert. Und obwohl Lisa sich sicher sein konnte, dass ihre Freundin mühelos die Stellung

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