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Was ich dir noch sagen will

Was ich dir noch sagen will

Titel: Was ich dir noch sagen will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofie Cramer
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schwer. Plötzlich fand sie ihr ganzes Leben so verwirrend, so kompliziert und so hoffnungslos. Alles hätte so schön sein können – aber jetzt …
    Lenny strich über ihre Hand und sprach sanft weiter. Offenbar hatte er registriert, wie sehr er sie mit seinen harten Worten getroffen hatte. «Ich weiß, das klingt jetzt sehr esoterisch und bloß nach Gelaber. Aber du musst lernen, loszulassen und mehr in dich hineinzuhören! Was sind deine echten Bedürfnisse? Worauf kommt es wirklich an im Leben?»
    Nun kapierte Lisa überhaupt nichts mehr. Sie verstand auch nicht, warum Lennys Sicht der Dinge sie so traurig machte statt einfach nur wütend. Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. Schließlich wusste sie sehr genau, was sie wollte. Das dachte sie jedenfalls, und deshalb entgegnete sie entschieden: «Ich will ein Kind. Von Erik. Was soll mit diesem Wunsch nicht stimmen?!»
    Lenny schob seine angefangene Pizza zur Seite und rutschte noch näher an Lisa heran. Dann erst begann er seinen eigentlichen Vortrag. Lisa konnte seinen Worten zwar folgen, aber seine Argumentation war für sie lange einfach nicht nachvollziehbar. Schlimmer noch – sie fühlte sich ungerecht behandelt, weil ihr eigener Bruder so gemeine Behauptungen aufstellte.
    «Weißt du», erklärte Lenny abschließend, «wenn es in den letzten Jahren dein innigster, tiefster Wunsch gewesen wäre, ein Kind zu bekommen, dann hättest du längst eins.»
    «Es hat bislang eben einfach nicht gepasst», verteidigte sich Lisa. «Außerdem kann ich ja wohl nichts dafür, dass Erik gar keins mehr will!»
    «Aber Lisa», antwortete Lenny nun wieder etwas strenger, «überleg doch mal: Das kann doch kein Zufall sein, dass du ausgerechnet an einen Mann geraten bist, der sich schwer damit tut. Guck doch lieber auf dich selbst, statt ihn zu verurteilen.»
    «Aber ich wollte doch immer ein Kind, verdammt!», schrie sie zurück und blickte ihren Bruder gleich darauf entsetzt an. Sie wusste, sie war zu weit gegangen.
    «Wenn es wirklich Liebe ist, hast du in Erik einen Partner, an dem du auch deine eigenen Konflikte abarbeiten kannst – um daran zu wachsen. Und wenn es nicht die wahre Liebe ist, rettest du mit einem Kind auch keine kaputte Beziehung. Eine eigene Familie macht alles extremer. In alle Richtungen.»
    «Aber ich liebe ihn doch», hauchte Lisa schwach und begann, heftig zu weinen. «Ich liebe ihn mehr als mein eigenes Leben.»

[zur Inhaltsübersicht]
25.
    Als Lisa am nächsten Morgen zu Erik ins Zimmer ging, blieb sie erschrocken in der Tür stehen.
    Renate saß auf ihrem Platz oder besser gesagt auf dem Stuhl, auf dem Lisa schon so viele bange Stunden verbracht hat.
    «Was machst du hier?», fragte Lisa, ohne ihre Verwunderung zu unterdrücken. Doch sofort korrigierte sie sich und fügte noch ein «Guten Morgen» an.
    «Guten Morgen, Lisa», sagte ihre Schwiegermutter, und das erste Mal, seit sie sich kannten, kam es Lisa so vor, als würden Renates sonst so kontrollierten Gesichtszüge nicht mehr zu dem strengen Ton ihrer Stimme passen. Sie saß tieftraurig da, und Lisa erkannte an ihren geschwollenen Augenrändern, dass sie geweint haben musste.
    Lisa ging auf sie zu, um ihr wie immer die Hand zu schütteln. Doch Renate zog sie an sich und hielt sie einen Moment lang fest, was so gar nicht ihre Art war.
    «Sie wollen ihn heute nochmal untersuchen und seine Gehirnströme messen», flüsterte sie, so als ob Erik nichts davon mitbekommen durfte.
    Lisa seufzte und nickte. Sie wusste, was die Untersuchung zu bedeuten hatte. Heute würden sie vielleicht erfahren, wie es um Eriks Gehirntätigkeit stand und ob die schweren Kopfverletzungen Teile seines Gehirns unwiederbringlich geschädigt oder zerstört hatten.
    «Ich darf gar nicht daran denken, was passiert, wenn sie feststellen, dass …» Renate unterbrach sich und holte ein Stofftaschentuch hervor, das sie wie immer elegant in ihrem Ärmel versteckt trug.
    Lisa nahm sich den Stuhl, der vor der Fensterbank stand, und trug ihn auf die andere Seite von Eriks Bett.
    Nun saßen beide Frauen eine Zeit lang schweigend da, in der Mitte Erik, dessen Gesicht trotz der Intubation und des Kopfverbands glücklicherweise wieder recht normal aussah, weil die Augenpartie nicht mehr so bläulich und so geschwollen war.
    «Warum trug der Junge bloß keinen Helm?» Es klang wie eine rhetorische Frage, doch sie hing bedrohlich im Raum und erschütterte Lisa bis ins Mark.
    Sie atmete tief durch und sagte nach einer

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