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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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plötzlich gerast, wegen der Stille oder weil er nicht wusste, was er zu sehen bekam, wenn er das Haus betreten würde. Wer so schreit, wie es die Mutter und Mili getan hatten, als die Soldaten ins Haus gekommen waren, hat große Angst. Dann erst war ihm Izy eingefallen und er war losgerannt, ohne noch einen Moment nachzudenken. Tiere wimmern, wie Menschen, wenn ihnen die Kraft ausgeht. Er zieht die Beine wieder an und setzt sich auf. Er will das Bild nicht sehen. Er kennt es zu gut. Einen Hund töten zu müssen, den man liebt wie nichts auf der Welt, weil nichts anderes übrig bleibt. Dazu fiel ihm nie etwas ein, bis heute nicht. Nur Izy und das Wimmern. Immer wieder. Persischer Ehrenpreis, warte, er kann ihren botanischen Namen doch auswendig: Veronica Peres. Das war einfach.
    Es klopft und er sieht den Kopf der kleinen Schwester in der Tür: Es ist nichts, Herr Bili ń ski, keine Sorge. Ich komme gleich wieder.
    Er legt das Buch zur Seite.
    Über dem Metallzuber voller Blut lag das Schwein. Der Dorfmetzger traf immer gut, schnell, sicher. Er lachte, wenn er das Blut fließen sah, und er lachte, wenn Paula das Blut zu rühren begann. Janek sprang zwischen Haus und Wasserkessel hin und her, immerzu benötigte man heißes Wasser, als käme ein Kind zur Welt. Alles musste schnell gehen, saubere Arbeit.
    Wir machen hier saubere Arbeit, er hörte ihn johlen, den Metzger, er war eine Sau im Gesicht.
    Paula rief ihn: Bili ń ski.
    Sie tat es den anderen gleich. Bili ń ski, wenn es die anderen hörten. Jani, wenn ihre Hände seinen nackten Rücken hinaufwanderten, wenn es schon dunkel war, wieder hinab, lang bevor es dämmerte. Dann war Jani längst über den Hof, über den Bach. Wenn es hell wurde, schlief Bili ń ski auf seiner Pritsche. Paula hatte starke Finger, die sich hineinkneten konnten in seine Haut, die sie walkten, walzten, aufwellten. Auf dem Zuber lag das Schwein und blutete fast nicht mehr. Er hasste das Quieken der Schweine vor dem Tod, wenn sie am Strick ums Bein aus dem Stall gezogen wurden, wenn der Bolzen gesetzt wurde, einmal noch, bevor die Tierstille eintrat, aber die Menschen anfingen zu quasseln, als lebten sie nun doppelt. Die Tiere wussten, dass sie sterben mussten, irgendwie spürten die das. Man wird das spüren, er ist sich sicher. Er auch. Er hat noch ein wenig Zeit. Heute Abend, heute Nacht passiert gar nichts. Er ist gewiss. Es ist ihm warm, er fühlt sich gut. Nur lag über dem Zuber das längst ausgeblutete Schwein. Und er rannte, hin und her und hin. Er schaute Paula nicht an. Nur Leo, den Alten, den Guten; der mochte ihn, der mochte, dass er so feines Deutsch sprach. Wer sprach das schon von denen mit dem P., Pack waren die! Leo, der Alte, hatte immer etwas geahnt, er war sicher. Aber gesagt hat er nie etwas. Er krümmte den Rücken, wenn er dabei half, das Schwein in den Brühtrog zu hieven, er krümmte ihn beim Heben auf den Holzbock und beim Aufhängen an der Leiter. Der Alte krümmte den Rücken noch krummer, weil er schon krumm war. Vom alten Leo hatte Paula die Hände, das Gesicht. Hanni schaute zu, sie lächelte. Ihre Zähne standen wie ein Lattenzaun nebeneinander, vorne, alle gleich schmal. Herrgott, wir danken dir! Paulas Mutter betete für das Schwein, oder dafür, dass es da war, dass es tot war. Er wusste das nicht. Hanni, die Alte, betete, wie andere atmeten. Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Schwein. Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe … Amen.
    Bili ń ski, hol Wasser!
    Dem Schwein wurde heiß im Trog, dann verlor es die Borsten. Drei Ave-Maria. Dann wurde das Schwein zu Fleisch. Das Tier ausgelöscht, wenn das Quieken noch zu hören war. Weit entfernt in den Ohren, im Kopf, oder wo? Blutwurst zuerst. Am nächsten Tag Leberwurst, Schinkenwurst. Sauerkraut, das kannte er von zu Hause. Das machten sie zu Hause nur besser. Hannah kam wieder. Hannah kam die Treppe hinab, stand an seinem Bett. Das Schwein hing an der Leiter. Gehälftet, glatt wie ein Popo und genauso blass. Bili ń ski, hol Wasser! Warum hatte Hannah so ein Tuch in der Hand? Das Schwein lag wieder auf dem Zuber. Das Schwein lag wieder im Trog, aber es hing an der Leiter. Das Wasser darf nicht mehr kochen! Bili ń ski rannte hin, brachte Wasser; saubere Arbeit, sauberes Schwein. Wenn die Gedärme herausfielen, würgte es ihm die Zungenspitze gegen die Gaumenstaffeln, als dürfte vorne nichts heraus. Bitter schmeckte das leere Würgen, gallig, sauer, er drehte dem

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