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Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)

Titel: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Hoffmann
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zehn Minuten dauerte, wir leckten die Lippen trocken, immer wieder, bis sie wund waren wie die Nasen von räudigen Tieren.
    Bili ń ski hört seinen eigenen Herzschlag ruhiger, das ist gut, er hört seinen Darm gluckern. Das ist so gut nicht, aber auch nicht so schlimm. Er hört auf die Geräusche seines Körpers und stellt sich vor, wie er spürt, dass sein Herz immer langsamer schlägt, die Menschen um ihn herum immer leiser sprechen, jemand neben ihm steht, Agota, schon auf der Schwelle, Agota, die ihn abholt, das geht leicht, die kleine Schwester, auch sie kann er sich vorstellen, und wie seine Gedanken an Geschwindigkeit verlieren, wie auch die Bilder in seinem Kopf. Aber er will nicht.
    Weiter, sagt er. Als müsse er sich antreiben.
    Ein Zittern hatte meinen Körper eingenommen wie ein sich langsam aufbauender Krampf, ein leises Kribbeln hatte ich gespürt in den Gliedern, sich vom Bauch aus in den Körper ausbreitend, hinaufwandernd in den Kopf, bis meine Zähne klapperten, bis die Kiefer aufeinanderschlugen, bis es weh tat in der Nase sogar, als wir beim Alten, bei Leo im Hof standen und der Franz schon wild nach dem Wiech schrie, der losrannte, hinüber übern Hof. Und ich, aufgeweicht, auf die Bank sank, die Zähne aufeinanderpresste, die Hände auf meine Knie drückte, um sie festzuhalten, dass sie doch aufhören mögen zu schlackern, und meinen Magen spürte, der wild pulsierte und schmerzte, und Izy war mir eingefallen, wie sie auf dem Hof gelegen hatte an jenem frühen Abend, damals, wie der Schmerz in ihren viel zu großen Pupillen hart zu pochen schien. Und ich wollte nach jemandem rufen, nach Paula, aber ich hielt an mich, versuchte zu atmen, schnappte nach Luft, ließ es zu, dass die Zähne unkontrolliert aufeinanderschlugen, unmöglich, auch nur ein einziges Wort zu sagen, nur eine einzige Frage zu stellen. Und als endlich Leo mich sah, wie ich schließlich da lag auf der Bank, hatte das Zittern nachgelassen, Schweiß stand mir auf der Stirn, aber unterschied sich nicht von der übrigen Nässe meines ganzen Körpers, doch war ich so sicher wie Leo, dass ich fieberte. Und schließlich lag ich in trockenen Kleidern unter drei Decken, wurde geschüttelt vom Frost im Körper, und dann wieder der Hitze im Körper, und Bilder ließen mich plötzlich aufrecht sitzen, Paula, die schrie, und ein Kind, das schrie, und Menschen mit Messern. Da saß Wiech neben mir und sprach beruhigende Worte: Es passiert nichts.
    Und ich habe Wiech von Paula erzählt, von Paula und dem Kind, und von Paula und mir, und von Paula und dem toten Bräutigam, und von Paula und dem Friedhof, und von Paula und ihrem weichen Körper, und von Paula und meiner Liebe, und sicher ist, Wiechek hat das mit ins Grab genommen, ohne dass er seinem Mädchen, Maria, wenn sie sein Mädchen gewesen ist, ohne dass er auch nur ein Wort davon zu irgendjemandem gesagt hatte. Sonst wäre ich jetzt nicht mehr da. Und Paula nicht mehr, und –
    Hannah heißt sie. Sie gäbe es auch nicht. Das sagt er nicht. Er atmet, er atmet, er atmet.
    Und Wiech, sagt er, hat gut daran getan, nicht Paula herbeizuholen, Wiech war klug genug gewesen, das sein zu lassen, um wenigstens mich vor Franz zu schützen, wenn schon er selbst seinen Verunglimpfungen zum Opfer fiel, gefallen war, wenn schon er sterben musste, obwohl er alles geleugnet hat, wie Marie auch. Aber das hat nichts geholfen. Später war das gewesen.
    Drei Tage habe ich oben in unserem Lager unter den Balken gelegen, habe den Raum mit den Augen und mein Innenleben mit dem Verstand vermessen, und Paula war nicht zu mir gekommen; nur ich war in Gedanken immerzu bei Paula und ihrem Körper und der Frage, ob an ihm etwas anders war, als es sein sollte.
    Und immer wieder dachte ich, ich kann sie nicht fragen, aber als sie mich schließlich wieder zu sich holte, drei Tage später, als ich schließlich vor ihrer geöffneten Scham saß, als ich nichts sehnlicher wünschte, als mit meinen Fingern über die zarte weiche, die feucht schimmernde Haut zu streicheln, als ich nichts mehr wollte, als dort, in diesen Körper ganz tief hinein und gedankenlos darin liegen und mich nur spüren in einer ruhigen und gleichmäßigen und weichen Bewegung, in die sie sich mit mir hineinkreisen ließ, dachte ich, in diesem einen kurzen innigen Moment danach, ich kann sie alles fragen. Und noch als ich die Frage stellte, sah ich ihren sich verschließenden Blick, ihren sich verschließenden Mund und spürte, wie ihr Atem sich

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