Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: Roman (German Edition)
schwer. Lange wird ihm das nicht mehr gelingen, er weiß das.
Es klopfte an der Tür, jemand klopfte heftig gegen die Tür. Er duckte sich, Paula lag an ihn gedrängt. Ob er sich unters Bett legen sollte? Die Tür war nicht abgeschlossen. Er ließ sich aus dem Bett gleiten und auf den Fußboden, mattes Holz, er rollte unters Bett, stieß mit der Stirn an den Federrost, spürte, wie die Haut sich aufschürfte und dass Paula sich bewegte.
Ja, sagte Paula.
Er sah ihr Nachthemd, das mit den blauen Blumen, und darunter ihre Füße, ihre Waden, dann stand sie neben dem Bett. Die Tür ging auf.
Ich habe Stimmen gehört, sagte Leo, der Alte.
Du hörst immer Stimmen, sagte Paula. Komm.
Sie trat zur Tür. Eine Feder hatte sich über Janeks rechtem Rippenbogen gelöst, der Draht drückte ihm in die Haut, es tat weh. Er wollte mit der Hand nach dem Schmerz greifen, aber er konnte sich nicht richtig bewegen.
Es tut weh in der Brust.
Klingeln. Klingeln! –
Er liegt auf der Seite, die Faust in den Rippenbogen gestemmt. Die Hand ist eingeschlafen, so sehr, dass es schmerzt, als das Blut sich den Weg bahnt. Kein Schmerz in der Brust.
Es dauert zu lange, bis jemand kommt, bis die kleine Schwester kommt. Es dauert zu lange. Die Augen fallen ihm zu.
Herr Bili ń ski!
Es ist anstrengend, sich von der Seite auf den Rücken zu drehen in der Nacht. Als falte er sich anders hin, als sei er aus Papier, ein Origami-Tier, wie Pius sie häufig zu falten pflegt, das sich in ein anderes verwandeln konnte; spitz ragen die Körperteile in verschiedene Richtungen.
Herr Bili ń ski?
Über sich sieht er das Gesicht der kleinen Schwester, sie beugt sich zu ihm hinab und legt einen Arm auf seine Schulter.
Wie liege ich?
Anders als sonst, sagt sie.
Das merke ich.
Sie haben sich von mir weggedreht, sagt sie.
Sie hilft ihm, seinen Körper wieder in Rückenlage zu bringen, die bequemste Lage eigentlich. Er liegt nie so, wie er gerade gelegen hatte.
Er schüttelt den Kopf.
Sie lächelt, als er nach ihrem Arm greift, und zieht ihn nicht zurück. Seine knisternde faltige Hand liegt kühl um ihren Unterarm.
Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist: die schöne Stimme der kleinen Schwester, ihre wutfunkelnden Augen, der wippende Pferdeschwanz, dass er sich ihre Haut am Bauch vorstellen kann, auch wenn er so etwas nicht laut sagt. Pickel, die man leicht ausdrücken kann, die freie Nase nach dem Schnäuzen. Kondensstreifen, das Glitzern der fliegenden Eisenpanzer am Himmel, bestrahlt von der Sonne. Rosinenbrötchen, kross gebacken, wie Werner sie ihm jedes Mal mitbrachte. An Agota denken und ihren Körper. Die Farben der Blumen, ihre filigranen Blüten und Blätter. Das aufgeregte Gezwitscher der Schwalben, die sich unter dem Gebälk des Klinikdachs eingenistet hatten; Vogelsturzflüge, nicht wetterabhängig. Den kleinen Schmerz, wenn der Barbier die Ohrhaare entfernt. Wie es ist, Kirschen vom Baum zu essen und die Pärchen zu teilen. Ochsenherztomaten, Steinpilze, Wildschwein. Amarone, Riesling.
Bub! Komm, Bub! Und obwohl nur Leo, der Alte, so rief, dachte ich zuerst an das Bellen eines Hundes. Mensch oder Tier, beide bedeuteten Wärme in diesen Tagen. Von weit her war der Ruf gekommen: Bub, von weit hinten, wie aus einer anderen Gegend, oder Welt. Ich saß am Wasser, erschrak, als seine Stimme zu mir vordrang, aus schlechtem Gewissen. Ich hatte am Ufer entlang das hängen gebliebene Schwemmholz sammeln wollen, es gab viel davon nach Regentagen, und es brannte gut, wenn es durchgetrocknet war, aber noch kein Stück davon hatte ich aufgelesen, als er rief, nur ins schlammige, aufgewühlte Wasser gestarrt und über Paula gerätselt. Warum war es nicht sie, die nach mir rief. Seit ich sie nach dem Kind gefragt hatte, war sie mir aus dem Weg gegangen.
Lass mich. Komm nicht. Nein.
Eine verschlossene Kammer. Nächte, die ich wach lag unterm Scheuendach und in schmale Schlitze, in chinesische Lichtaugen schaute, wenn der Mond schien. Der Krieg war zu Ende, und ich sollte zurück nach Polen, wie alle anderen von uns. Aber ich hatte mit Polen gebrochen, als hätte dies Land Schuld an meiner Misere gehabt, und am Tod meiner Familie. Hierher gehöre ich, zu Paula, dachte ich, und dass ich ein Mann bin. Ich rannte zum Fluss, wann ich konnte, ich schrie meine Wut und Enttäuschung in dieses Schmutzwasser hinein, ich weinte und spuckte auf Paula, bis mein Mund und meine Augen trocken wurden, und bis an jenem Tag der Alte mich rief:
Da ist jemand für
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