Was im Dunkeln liegt
morgen …«
»Was soll das hier sein – eine Mitternachtskonferenz?« Dannys Stimme ließ uns beide zusammenfahren.
»Ich bin nach unten gegangen, um mir ein Glas Wasser zu holen – und Simon ist noch gar nicht im Bett gewesen.«
Gereizt sah Danny uns an. »Hau dich in die Falle, Mann«, sagte er zu Simon. »Dieser Betontyp will um halb acht hier aufkreuzen.« Zu mir sagte er lediglich: »Komm«, und deutete mit dem Kopf in Richtung der Treppe. Er hatte natürlich recht. Wir brauchten alle ein paar Stunden Schlaf.
27
Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Genau in dem Moment, als Schwester Fettsteiß hereinmarschiert kommt, sitze ich an Mrs Ivanisovics Bett und inspiziere ihre Wertsachen, während die arme alte Frau schläft. Im Gesicht der Schwester spiegelt sich eine klare Reaktion. Wir starren einander an – sie fragt sich, wie man mit einem Besucher umgehen soll, der offenbar ans Totenbett gekommen ist, um ein paar Sachen mitgehen zu lassen. Ich wiederum suche nach Worten, um die Situation zu erklären.
Ich öffne das Schmucketui und halte es ihr zur Ansicht hin – damit sie sehen kann, dass sich keine Diamantkette darin befindet. »Sie hat mir signalisiert, das Etui herauszunehmen«, sage ich. »Ich glaube, sie wollte mir das Kreuz zeigen. Es hat ihrem Sohn gehört.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie einen Sohn hatte.« In ihrer Stimme liegt hörbarer Zweifel.
»Er ist schon lange tot.«
Sie wirft einen Blick zu den gerahmten Fotos hinüber, und ihr geht ein Licht auf. »Danny«, murmelt sie. »Natürlich – sie hatte einen Sohn, jetzt, da Sie es erwähnen. Der auf den Fotos, ja?«
»Ja.«
Sie reicht mir das Etui zurück, und ich lasse es zuschnappen.
»Was ist mit ihm passiert? Ein Motorradunfall?«
»Selbstmord.« Meine Stimme ist zu einem Flüstern gesunken. Nicht absichtlich.
Ich sehe, ihr Interesse ist geweckt – ihr ursprünglicher Verdacht der Möglichkeit untergeordnet, etwas Klatsch über die Familie einer Patientin zu erfahren. Selbstmord wird weit mehr als ein bloßer Motorradunfall mit Tragödie und Drama assoziiert. Sie beugt sich über mich, um den Sitz von Mrs Ivanisovics Sauerstoffmaske zu überprüfen, ein Manöver, bei dem ihr ausladender Hintern in den Raum eindringt, den ich als mein Territorium beansprucht habe. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück, eingehüllt in einen Duft aus antiseptischer Handwaschlotion und frühlingsfrischem Weichspüler.
»Wie lange ist das alles her?« Ihr Akzent geht in Richtung des Singsangs, den ich mit Newcastle verbinde. Er erinnert mich an Josser.
»1972.«
»Oh – eine lange Zeit. Es muss der armen Frau das Herz gebrochen haben.« Sie nickt mir zu, versucht eine Atmosphäre von gegenseitigem Verständnis zu suggerieren, die zum Austausch von Vertraulichkeiten ermuntert – hat es nicht eilig, zur alltäglichen Routine der Patientenversorgung überzugehen, solange etwas derart Interessantes im Themenmenü zu finden ist. »Warum hat er sich das Leben genommen?«
Ich werfe einen Blick zu Mrs Ivanisovic. Sie scheint zu schlafen, aber wie kann man das sicher sagen? »Das weiß man nicht«, antworte ich. »Bei der gerichtlichen Untersuchung
wurde angedeutet, es könne etwas mit seinem Schwulsein zu tun gehabt haben.«
»Oh.« Sie stockt. »Wusste sie , dass er schwul war?«
»Er war es ja gar nicht«, sage ich. »Er hatte einen Freund, der schwul war, weshalb manche Leute das auch von ihm gedacht haben – aber er selbst war nicht schwul.«
»Aah.« Ein selbstgefälliger, wissender Ausdruck tritt in ihre Miene. »Nun, vielleicht war er es, hat sich aber nicht geoutet. Das war damals noch nicht so üblich. Vielleicht hat er sich deshalb umgebracht – verstehen Sie –, weil er nicht imstande war, sich zu seiner Veranlagung zu bekennen.«
Normalerweise halte ich einfach den Mund. Lass die Leute denken, was sie wollen, aber etwas in ihrem Ton erbost mich. Wie kann sie es wagen zu glauben, sie habe die Sache durchschaut – sie, die überhaupt erst vor einer halben Minute von Dannys Tod erfahren hat?
»Er war nicht schwul«, sage ich.
»Nun, das weiß man nie …«
»Ich weiß es. Ich war mit ihm verlobt, als er starb.«
Als ihr Gesicht rot anläuft, schäme ich mich über mich selbst. Sie hat meinen ringlosen Eheringfinger registriert, meine Anwesenheit am Krankenbett seiner Mutter, und ist wegen ihres unschuldigen, aber taktlosen Geplappers peinlich berührt. Darüber hinaus
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