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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Janes
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habe ich nicht einmal die Wahrheit gesagt. Ich war nicht mit Danny verlobt  –  was immer er oder seine Eltern geglaubt haben mochten, was immer ich gesagt haben mag, um einen billigen Punkt gegen Schwester Fettsteiß zu erzielen  –, eine solche Abmachung hat nie zwischen uns existiert.

    »Entschuldigen Sie«, sagt sie, und in ihrem Ton schwingt Reue. »Aber jetzt muss ich Sie bitten, ein paar Minuten draußen zu warten, während ich mich um Mrs Ivanisovic kümmere.«
    Ich verlasse das Zimmer mit dem Gefühl, dass eigentlich ich diejenige bin, die sich entschuldigen sollte. Die Frau mit den rosa Steinsplittern um den Hals durchquert gerade die Eingangshalle.
    »Wollen Sie draußen etwas frische Luft schnappen?«, fragt sie. »Ich glaube, der Regen hat aufgehört.«
    »Nein, danke, ich werde hier warten. Die Schwester ist gerade im Zimmer.«
    Die Steinsplitterfrau bleibt stehen, nickt mitfühlend. »Sie ist eine bemerkenswerte alte Dame, nicht wahr?«
    Ich entscheide mich für simple Zustimmung, da ich mir unsicher bin, worauf sich ihr Urteil über Mrs I. bezieht.
    »In dieser Woche hat Dr. Brownlow jeden Tag, wenn er bei ihr war, gesagt, er rechne nicht damit, dass sie den folgenden Tag noch unter uns weilen wird.« Während ich in der Halle stehe und mich frage, ob Dr. Brownlow für derart aufbauende Worte allgemein bekannt ist, zwitschert die Steinsplitterfrau ungerührt weiter über den bemerkenswerten Lebenswillen mancher Menschen. Vielleicht glaubt sie, ich könne daraus etwas Trost ziehen  –  oder vielleicht argwöhnt sie insgeheim, ich sei eine frustrierte Testamentsbegünstigte, die sich fragt, wie lange Mrs Ivanisovic noch in Broadoaks herumliegen und ihr Vermögen mit jedem Tag, der verstreicht, um hundert Pfund oder mehr verringern wird. Ich erinnere mich an die Situation, die ich mit meiner Mutter erlebt habe  –  die Knappheit von Krankenhausbetten, das Warten auf einen geeigneten
Pflegeheimplatz. Ohne Zweifel wartet irgendwo bereits eine andere reiche alte Dame  –  ihr Name auf der Anmeldeliste unter dem von Mrs Ivanisovic –, wartet auf dieses nette Zimmer mit dem großen Erkerfenster, dem Blick in den Garten. Ihrer Familie hat man wahrscheinlich bereits mitgeteilt, dass in Kürze ein Zimmer frei werden würde. Die Familie wird es kaum erwarten können  –  niemand gesteht sich ein, dass dies die Hoffnung auf den baldigen Tod von jemand anderem beinhaltet.
    Denkt die Schwester über so etwas nach, wenn sie ihre sterbende Patientin versorgt? Fragt sie sich, wer der nächste Bewohner sein wird? Oder macht sie sich vielleicht Gedanken über einen anderen Widerspruch: der gesunde junge Sohn, der es nicht erwarten konnte, aus dem Leben zu scheiden, und im Gegensatz dazu die uralte Mutter, die sich so hartnäckig daran klammert.
    So viele Leute, die alle auf den Tod einer alten Dame warten. Ein Leben flackert seinem Ende entgegen. Eine zitternde Flamme, die jeden Moment erlöschen könnte.
    Als ich zurückkehren darf, finde ich Mrs Ivanisovic wach vor. Ihr Blick folgt meinem Gang von der Tür zu dem Stuhl neben ihrem Bett. Ich stelle fest, dass sie ein klein wenig aufrechter gegen die Kissen gestützt ist und einen Block mit Kugelschreiber griffbereit auf dem Bett liegen hat. Sie muss der Schwester bedeutet haben, die Sachen herauszuholen. Sie wirkt munterer  –  ich frage mich, ob die Schwester ihr irgendetwas verabreicht hat.
    »Sie sehen ein wenig besser aus«, sage ich.
    Sie hebt die Augenbrauen  –  ein wenig besser, ein wenig schlechter, was macht das schon aus? Sie führt den Kugelschreiber zum Block. Der Block ist bei einer freien Seite aufgeschlagen und die Kappe des Kugelschreibers bereits
abgenommen, sodass sie jederzeit zu schreiben beginnen kann, doch als sie nun anfängt, tut sie sich schwer. Sie braucht eine halbe Ewigkeit, um ein einziges Wort entstehen zu lassen: Warum. Die Buchstaben sind übergroß und ungleichmäßig. Sie hält sich nicht mit einem Fragezeichen auf.
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antworte ich kopfschüttelnd, täusche Ratlosigkeit vor, indem ich mich jener doppeldeutigen Ausdrucksweise bediene, wie man sie Kindern in Kriegszeiten als Antwort lehrte. Es ist eine Ausweichtaktik, die mich erheitert, seit ich das erste Mal darüber gelesen habe  –  ein sorgfältig konstruiertes, typisch britisches Hintertürchen. Während sich Mrs Ivanisovic wieder mit ihrem Kugelschreiber abplagt, denke ich über diese Geschichte nach: Wie man

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