Was im Dunkeln liegt
versteht, und – wichtiger noch – sie glaubt, was ich sage. Ich sehe, dass sie wieder wegdämmert. Ihre Hände rutschen von den Schreibutensilien ab, also lege ich sie beiseite. Beobachte, wie der Regen Muster an die Scheiben wirft. Nach einer Weile kommt die Schwester herein, um zu fragen, ob ich Tee wolle. Als ich bejahe, nickt sie und geht wieder; keine von uns spielt in irgendeiner Weise auf die Situation von vorhin an. Sie kehrt mit einem Tablett zurück, auf dem sich nicht nur die für mehrere Tassen Tee notwendigen Utensilien befinden, sondern auch ein Teller mit vier Eier-Kresse-Sandwiches sowie ein Stück Madeirakuchen, alles säuberlich unter einer Frischhaltefolie angerichtet.
»Was ist mit Mrs Ivanisovic?«, frage ich.
»Ich bin mir sicher, sie will im Moment nichts haben.«
Ich begutachte diese unerwartete Fülle, entsinne mich noch rechtzeitig daran, »Vielen Dank« zu sagen.
Sobald sie gegangen ist, krame ich aus meiner Handtasche eine Packung Paracetamol. In Mrs Ivanisovics Zimmer ist es ziemlich stickig, und ich spüre eine Andeutung von Kopfweh. Das waren noch Zeiten, als man ein anständig großes Fläschchen mit Schmerzpillen kaufen konnte, die den ganzen Winter über gereicht haben, doch inzwischen gesteht einem der überfürsorgliche Vater Staat kaum eine ausreichende Menge zu, um eine Erkältung durchzustehen. Ich drücke die Pillen durch die Folie, hole sie vorsichtig heraus und lege sie, ohne den Blick von der im Bett liegenden Gestalt abzuwenden, auf das Nachtkästchen. Weiß sie etwas oder nicht? Wie kann ich
da jemals sicher sein? Mrs Ivanisovic gibt ein leises Geräusch von sich – zu verhalten, um als Schnarchen bezeichnet zu werden. Alles an ihr schwindet: Die Flamme, die einst so hell loderte, ist schwach geworden. In Gedanken stelle ich mir eine Rauchsäule vor, die von einer gelöschten Kerze aufsteigt. Ich merke, dass ich gar nicht darauf geachtet habe, was ich tue – dass ich geistesabwesend weiterhin die Tabletten aus der Folie drücke, sodass sich inzwischen auf dem Nachttisch ein kleines Häufchen angesammelt hat.
Ich schlucke zwei Paracetamol mit meiner ersten Tasse Tee. Die zweite Tasse wird von den Sandwichdreiecken begleitet, die dritte spült den Madeirakuchen hinunter. Kurz nachdem ich fertig bin, taucht eine Angestellte auf, die ich bisher noch nicht gesehen habe – eine hübsche junge Frau mit kastanienbraunem Haar und einem mintgrünen Overall –, um das Tablett abzuholen. Ich kann gerade noch mit der Hand das kleine Häufchen weißer Tabletten abdecken, das die ganze Zeit über neben Mrs Ivanisovics Plastikspender mit Süßstoff gelegen hat.
»Wenn Sie noch eine Tasse Tee oder irgendetwas anderes haben wollen, dann klingeln Sie einfach«, sagt die Frau.
Ganz offensichtlich geht man davon aus, dass ich einige Zeit hierbleiben werde.
28
Der »Betontyp«, wie Danny ihn nannte, erschien pünktlich um halb neun. Ich war gerade auf halbem Weg nach unten, als ich seinen Pick-up ankommen hörte, doch Simon war vor mir an der Tür. Ich hatte nur einen Arbeiter erwartet, aber der Betontyp wurde von einem Jugendlichen begleitet, der vielleicht zwei, drei Jahre jünger war als ich, und einem Terrier, der sofort losflitzte, um unter dem Flieder herumzuschnuppern. Der ältere Mann hatte schütteres kastanienbraunes Haar und trug ein kariertes Hemd und eine Hose, deren ursprüngliche Farbe nicht mehr zu bestimmen war. Von der Arbeit war sie völlig mit Spritzern übersät. Die Haut in seinem Gesicht war durch jahrelanges Arbeiten im Freien gerötet und mit zahllosen blassbraunen Sommersprossen gesprenkelt. Sein junger Kollege trug Arbeiterjeans und ein Rod-Stewart-T-Shirt, so ausgewaschen, dass der Aufdruck zu einem geisterhaften Grau verblichen war. Sie wirkten völlig normal und konnten unmöglich ahnen, mit welch furchtbarer Angst wir uns nach draußen schleppten, um sie zu begrüßen, widerwillig wie böse Kinder, die zum Direktor geschickt wurden, um sich eine Tracht Prügel abzuholen. Keinem von uns gelang ein Lächeln.
Es war offensichtlich, dass der Betontyp (den Simon
als Vic vorstellte) uns auf den ersten Blick misstraute, da seine einleitenden Worte den Satz »bar im Voraus« beinhalteten. Simon versuchte einzuwenden, er habe die Abmachung als Bezahlung nach Fertigstellung verstanden, doch sobald klar wurde, dass Vic nicht beabsichtigte, seine Betonmischmaschine auszuladen, ehe unser Geld sicher in seiner Tasche ruhte, gab Simon
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