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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Janes
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willen? Schließlich kann hier jeder einen Spaziergang machen.
    Es liegt am Alleinsein. Menschen  –  ich muss mit Menschen zusammen sein. Ich beschließe, Hilly eine SMS zu schicken und zu fragen, was sie heute Abend vorhat. Aber nicht hier. Ich werde nach Kington fahren und mir erst einmal einen Kaffee besorgen. Hilly ist das perfekte Gegenmittel. Sie versteht alles, aber weiß nichts. Also die ideale Freundin für mich.
    Als Hillary Bennington und ich uns anfreundeten, wollte uns das Lehrerkollegium an der Hochschule zunächst auseinanderbringen. Wir wurden subtil in die Gesellschaft anderer Studenten gedrängt, dazu ermutigt, uns
Freundinnen zu suchen, die weniger »Probleme« hatten: aber letzten Endes erwiesen sich alle Versuche, einen Keil zwischen uns zu treiben, als fruchtlos. Sie wundern sich wahrscheinlich über das Interesse des Kollegiums an meinen persönlichen Freundschaften, was in einer normalen akademischen Einrichtung sicher nicht die Norm ist  – aber natürlich wurden sowohl Hilly als auch ich intensiv beobachtet, um frühzeitig erkennen zu können, ob eine von uns beiden durchdrehte.
    Diese unangenehme Aufmerksamkeit äußerte sich beispielsweise in betont beiläufigen Annäherungsversuchen von Dozenten, die einen im Flur mit der Frage: »Geht’s Ihnen gut, Katy?«, abfingen. Einfach so; nicht selten in diesem speziellen Ton gestellt: dem zuckrigen, leicht besorgten Ton, der jenen Leuten vorbehalten ist, denen es womöglich nicht gut geht  –  jemand, auf den man ein Auge haben sollte, weil er mit seinem Leben vielleicht nicht zurechtkommt. Hilly und ich fielen beide in die Kategorie »labil und psychisch angeknackst«, zwei junge Frauen, die eine private Tragödie erlitten und dann ihr Studium nach einem Jahr Auszeit wieder aufgenommen hatten. Schon allein das verband uns. Wir unterschieden uns zwar äußerlich nicht von unseren Kommilitonen, dennoch waren wir anders. Hilly hatte mit ansehen müssen, wie ihr Vater einem Herzinfarkt erlag, hatte hilflos an seiner Seite gekniet, während sie auf die Ambulanz warteten  –  und auch ich war unter der Wucht eines Todesfalls zerbrochen.
    Als wir wieder an die Hochschule zurückkehrten, hatten die vertrauten Gesichter unseres Jahrgangs ihre Prüfungen bereits abgeschlossen und die Einrichtung verlassen. Unsere neuen Kommilitonen waren viel zu nett. Die
gezwungene Freundlichkeit  –  ein halbes Dutzend Leute machte einem in der Cafeteria Platz  –, die betroffenen Mienen, das sorgfältige Vermeiden von bestimmten Themen, was unvermeidlich zu peinlichen Gesprächspausen führte, all das war wie ein ständiger Druck auf einen schmerzenden Bluterguss.
    Hilly und ich stützten uns gegenseitig. Wir blieben zusammen wach, wenn sich der Schlaf bei einer von uns wieder einmal nicht einstellen wollte. Wir bohrten nie nach, stellten keine Fragen, erkundigten uns nie, ob es dem anderen »gut« ginge. Wir waren einfach zusammen, und das genügte  –  eine Beziehung, in der jeder geben und nehmen konnte, was für ihn notwendig war. Wir standen uns gegenseitig im letzten Hochschuljahr und in unserer Referendarzeit als Lehrer bei. Eine Weile wohnten wir sogar zusammen  –  genauer gesagt, bis Hilly heiratete. Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben, und das hat uns einander wieder nähergebracht. Wir haben begonnen, zusammen in Urlaub zu fahren. Wie Marjorie und ihre Freundin Pam, mit dem Unterschied, dass Marjorie und Pam beide Witwen sind  –  was auf Hilly und mich nicht zutrifft.
    In Kington angekommen, finde ich ein Café, wo ich Tee und ein Scone mit (was soll’s?) Marmelade und Sahne bestelle. Ich schreibe Hilly eine SMS und erhalte umgehend die Antwort, dass sie heute Abend noch nichts vorhabe. Gut.
    Irgendwie fühle ich mich jetzt viel besser  –  als hätte ich die Tür zu dem wüsten Durcheinander der Vergangenheit zugeschlagen. Alles in einen dunklen Schrank weggeschlossen, zu dem niemand einen Schlüssel besitzt.

5
    Liebe Katy,
    ich bedaure, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten, aber ich muss Sie leider bitten, mich so bald wie möglich zu besuchen. Ich bin mir sicher, es ist weder in Ihrem noch in meinem Interesse, wenn Sie das zu lange hinauszögern.
     
    Mit freundlichen Grüßen
E. J. Ivanisovic
     
    Das gleiche Briefpapier, dieselbe zittrige Handschrift. Der Ton hingegen auffällig anders. Das erste Schreiben war lediglich eine freundliche Anfrage. Dies hier ist ein Befehl  –  mit einem drohenden

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