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Was im Dunkeln liegt

Was im Dunkeln liegt

Titel: Was im Dunkeln liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Janes
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Unterton. Diese Wendung, es ist weder in Ihrem noch in meinem Interesse, wenn Sie das zu lange hinauszögern , ist schlicht und einfach Erpressung.
    Was ist zu lange? Wie schnell ist so bald wie möglich? Und ich kann die Fühler auch nicht am Telefon ausstrecken, weil diese verfluchte Frau angeblich schwerhörig ist.
    Lange sitze ich da und starre den Brief an. Nur eine Seite diesmal. Kein überflüssiges Wort. Die Logik sagt mir, dass sie eigentlich gar nichts wissen kann. Aber folgt das Leben jemals den Gesetzen der Logik? Es gibt immer den unbekannten Faktor X. Die eine Sache, die man
nicht einkalkuliert hat, die sich aus dem Nichts anschleicht und dich kalt erwischt. Ich brauche mir erst gar nicht die Mühe zu machen, weiter über die Taktik des Gartenhäuschenprojekts nachzudenken. Der Brief verkündet mit jeder Silbe: Verarsch mich nicht . Laut und deutlich  – Schwing deinen Hintern hierher, oder du wirst es bereuen . Okay, Botschaft erhalten und verstanden.
    Dummerweise ist »hierher« eine Adresse in Sedgefield, was zufällig ein paar Hundert Meilen entfernt ist. Als Mr Ivanisovic in den Ruhestand ging, zogen er und seine Frau nach Norden, um näher an Mrs Ivanisovics Familie zu sein. Denn Mrs Ivanisovic stammt von dort  –  nicht aus einem fernen osteuropäischen Land –, sie ist eine Farmerstochter aus dem County Durham. Es muss ein Schock für die dort ansässige Gesellschaft gewesen sein, als sie Mrs Ivanisovic wurde. Bevor der große Goran mit dem beinahe gleichlautenden Nachnamen in Wimbledon von sich reden machte, hatte sie ihren Namen sicher bereits tausendmal für andere Leute buchstabieren müssen.
    Sie waren ein sonderbares Pärchen, die Ivanisovics. Sie war ruhig, reserviert und zweifellos in der Erwartung erzogen worden, in eine gute alteingesessene Familie einzuheiraten. Dannys Vater war das genaue Gegenteil: dunkel, während sie blond war, leicht erregbar und ein wenig exotisch  –  ein wildes Balkangewächs, in englische Erde verpflanzt, nachdem er in den Dreißigern im Rahmen eines Maschinenbaustipendiums dorthin gekommen war. Er kämpfte mit unseren Truppen gemeinsam gegen die Deutschen, fand in Friedenszeiten eine Anstellung in den Midlands und kehrte einfach nie wieder nach Hause zurück, weil er sich irgendwo unterwegs in ein Mädel aus Durham verliebt hatte. Seltsamerweise war er es, nicht
sie, dessen Akzent hin und wieder die nördliche Herkunft verriet. Mrs Ivanisovic hingegen hatte eine perfekte BBC-Aussprache.
    Danny kam im Aussehen nach seinem Vater. Er flirtete auch mit dem Katholizismus seines Vaters, zog die barocke Sinnlichkeit der katholischen Messe dem kargen Protestantismus seiner Mutter vor. Auch hier waren die Ivanisovics Welten voneinander entfernt: Er stand für die Glocken und Gerüche von Father McMahons römischer Enklave, sie für den Marmeladeverkauf für wohltätige Zwecke und das Singen der Jerusalem-Hymne im roten Backsteingebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Trotz ihrer Gegensätze himmelten sie einander an und vergötterten auch ihr einziges Kind. Sein Verlust ließ das Glück aus ihrer beider Leben schneller herausströmen als Blut aus einer durchtrennten Arterie.
    Einer Anmerkung auf einer von Mrs Ivanisovics Weihnachtskarten entnahm ich, dass ihr Mann bald nach dem Umzug nach Sedgefield gestorben war. Ich konnte sie mir lebhaft vorstellen, erstarrt in ehrwürdiger Witwenschaft und nach außen hin keinerlei Gefühle zeigend. Überrascht stelle ich nun fest, dass ich ihr Bild nicht mehr klar vor Augen habe. Sie war, glaube ich, jünger als er, aber nur unwesentlich. Ich hatte immer ein wenig Angst vor ihr, obwohl sie sehr freundlich zu mir war. Dieser zweite Brief wirkt irgendwie falsch: völlig untypisch. Aber wenn sich irgendjemand an Trudie erinnern und anfangen würde, nach ihr zu fragen, wäre es Dannys Mutter. Sie wusste, dass Trudie im Haus gewohnt hatte, und muss sich vor Kurzem gefragt haben, was wohl aus ihr geworden sein mochte  –  nach wie vor natürlich weit davon entfernt, die Wahrheit auch nur zu ahnen.

    Dann überfällt mich mit einem Mal blitzartig die Erinnerung an ihr Gesicht. Ich sehe sie vor mir, wie sie im Wohnzimmer von Simons Onkel sitzt, auf dem Rand des Sofas thronend und eine Tasse mit Untertasse balancierend. Ich entsinne mich an ihren Ausdruck, der irgendwo zwischen Belustigung und Empörung schwankte, als Trudie verkündete: »Die anderen haben mich am Strand aufgelesen  –  wie eine

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