Was im Leben zählt
Verandaschaukel bequem gemacht. Welche Ironie , denke ich. Auf dieser Schaukel habe ich zum ersten Mal das Ausmaß seiner Trinkerei begriffen, damals, mit siebzehn, als er völlig taub für seine Umwelt war, ein leise hin- und herschwankender, gestrandeter Wal, an dem ich meine kleine achtjährige Schwester – die wegen einer Magen-Darm-Grippe ausnahmsweise früher aus der Schule kam – eilig vorbeibugsierte, in der Hoffnung, dass sie nichts mitbekam.
Als Dad Tyler und mir dieses Haus schenkte, vermachte er uns auch die Schaukel aus meinem Elternhaus, ein Andenken an seine Liebe zu meiner Mutter, an die gemeinsamen Erinnerungen, die sie sich während ihrer Ehe geschaffen hatten, an die vielen in vertrautem Schweigen verbrachten Abende. Natürlich ist die Schaukel auch Andenken an sehr viel mehr als das – zumindest für mich –, aber es ist mir gelungen, diese Erinnerungen zu begraben. Und trotzdem tauchen sie heute auf einmal völlig ungebeten wieder auf, ein knallender Korken in einem stillen Zimmer. Dad winkt uns zu, und Darcy, noch angeschnallt, grunzt zur Antwort.
«Was willst du seinetwegen unternehmen?», fragt sie.
«Erst mal bleibt er hier. Bis Ty wieder da ist und wir uns was überlegen können.» Ich stelle den Motor ab und genieße die Stille, die sich auftut. «Ich glaube, es geht ihm schon ein bisschen besser», sagte ich.
«Es ist doch gerade mal eine halbe Woche her.» In ihrer Stimme schwingt Verachtung mit.
«Und er hat keinen Tropfen angerührt. Das ist doch schon mal was.»
«Ach, das ist also der Plan, ja? Die Tage zählen, die er nicht getrunken hat, und hoffen, dass es so bleibt?» Sie öffnet zwar die Autotür, macht aber keinerlei Anstalten auszusteigen, bis irgendwann der Alarm losgeht, ein schrilles Ding-Dong, das sich direkt in meine Schläfen bohrt und bei dem ich an Tyler denken muss – Ty-ler! Ty-ler! Ty-ler! Ich denke verzweifelt darüber nach, wie ich ihm diesen lächerlichen Blödsinn ausreden kann, wie ich die Zukunft ändern, die Uhr zurückdrehen kann. Nein, nicht nur zurückdrehen, sondern sie vorstellen oder seitlich oder sonst wie verstellen! Was kann ich tun, damit ich nicht irgendwann gezwungen bin, mit anzusehen, was ich bereits gesehen habe; dann nämlich, wenn es tatsächlich geschieht !
«Wollen wir?», frage ich Darcy, als mir der Alarm endgültig zu viel wird. Wir schöpfen beide – jede aus ihrem ganz eigenen Grund – mit einem tiefen, reinigenden Atemzug Kraft, lösen synchron die Sicherheitsgurte und steigen schwerfällig aus. Darcy geht vor, ihre Füße schlurfen über die roten Ziegelsteine, sie hat eindeutig keine Eile, unserem Vater Hallo zu sagen. Dann schwingt plötzlich die Haustür auf, und Dante kommt zum Vorschein.
«Scheiße!», höre ich sie flüstern, eindeutig laut genug, dass Dante es auch mitbekommen hat.
«He!», sagt er und lächelt sie unsicher an. «Dein Dad hat gesagt, du wärst bald zurück, und da dachte ich mir, ich warte auf dich.»
«Woher wusstest du, wo ich bin?» Darcy bleibt so abrupt vor der untersten Verandastufe stehen, dass ich fast mit ihr zusammenstoße.
«War irgendwie naheliegend.» Er zuckt die Achseln und starrt nach unten auf seine ausgelatschten blauen Turnschuhe. Darcy kommt ihm keinen Millimeter entgegen, lindert mit keinem Wort sein Unbehagen.
«Hallo, Dante», sage ich schließlich über Darcys Schulter hinweg und drücke mich an ihr vorbei, um seine blasse Wange zu küssen. «Ist ziemlich lange her. Schön, dich zu sehen. Möchtest du zum Essen bleiben?» Darcys Mörderblick bohrt sich förmlich in meinen Rücken.
«Oh, nein, Tilly. Trotzdem, danke. Ich muss noch zur Bandprobe.» Er stupst mit den Zehen gegen das Geländer; er sucht meinen Blick, weicht mir dann aber sofort wieder aus.
«Was macht die Band?», mischt mein Vater sich ins Gespräch. Ich hatte völlig vergessen, dass er auch da ist, und daran, wie Darcy zusammenzuckt, merke ich, dass es ihr genauso geht.
«Gut, gut, danke, Mr. Everett. Deswegen bin ich auch hier.» Er sieht Darcy an, und ich merke, wie leicht es ihm bei ihr fällt, den Blick zu halten. Als wäre sie Balsam für ihn. «Ich habe dir viermal auf die Mailbox gesprochen.»
«Der Akku ist leer.» Sie zuckt die Achseln. Auf einmal ist sie die Verlegene, deren Hände sich tief in die Taschen bohren, weil sie nicht weiß, wohin damit, und die mit dem vertrauten Tick, sich auf die Unterlippe zu beißen, ihre Nervosität verrät.
«Ist ja auch egal. Wir haben nächsten
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