Was im Leben zählt
Anderson, um die Grease- Entscheidung endgültig festzuklopfen; gestern hat er uns wegen eines kurzfristig anberaumten Budget-Treffens mit dem Bezirksverwalter versetzt, und vor vierundzwanzig Stunden wäre mir der ganze Zauber noch richtig wichtig gewesen. Von wegen Greased Lightning! und so weiter, aber heute habe ich das Gefühl, mein ganzes Leben sei vom Blitz getroffen, und das Musical ist auf meiner Prioritätenliste im freien Fall bis ganz nach unten durchgerutscht. Doch nachdem ich Susanna bereits letztes Wochenende am Telefon klipp und klar gesagt habe: «Ich halte es keine Sekunde mehr aus, dir dabei zuzusehen, wie du in Selbstmitleid ertrinkst» , bleibt mir nichts anderes übrig, als Ashleys unsichtbaren, widerlichen Voodoo-Zauber abzuduschen und mich ins Auto zu setzen, um zur Westland High zu fahren und über die dämliche Wiederholung eines Musicals zu diskutieren.
Darcy springt auf den Rücksitz und kommt mit. Sie hat nichts Besseres vor, weil sie angenervt von der ganzen Welt zu Hause hockt beziehungsweise selbst alle Welt so genervt hat, dass alle anderen sich verpisst haben.
«Tyler hat angerufen», sage ich zu Susie, die teilnahmslos raus ins Nichts starrt. «Er sagt, Jamie Rosato hat sich gemeldet. Er will, dass Tyler sich vorstellt.»
«Ach, Süße! Das habe ich ja ganz vergessen. Ich hab davon gehört.» Sie berührt sanft meine Schulter. «Alles okay?»
«Wie? Du hast davon gehört? Wie denn?» Ich traue meinen Ohren nicht, und weil ich Susie ungläubig anstarre, anstatt mich auf die Straße zu konzentrieren, fahre ich vor Schreck einen Schlenker.
«Ich, äh …» Sie knibbelt verlegen an ihrer Nagelhaut herum. «Austin hat’s mir erzählt?» Es klingt eher nach einer Frage als nach einer Feststellung.
«Austin hat dir erzählt, dass Jamie Rosato sich bei Tyler gemeldet hat? Wann? Wann hat er dir das erzählt?»
«Äh, gestern? Gestern, glaube ich.» Sie zögert. «Es tut mir leid, ich hätte dich anrufen sollen. Ich weiß, ich bin momentan echt durch den Wind.»
«Was? Das hat er dir gestern schon erzählt? Tyler hat mich doch erst heute Morgen angerufen!» Ich würge das Radio ab, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört habe. «Wie kann es sein, dass Austin es vor mir gewusst hat?»
«Oh-oh!», ertönt es von hinten. Darcy ist plötzlich ganz Ohr. Susie konzentriert sich noch mehr auf ihre Nagelhaut, schon seit Kindertagen ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie sich ertappt fühlt.
«Susanna Nichols! Ich bin deine beste Freundin!» Ich setze den Blinker und versuche, die Spur zu wechseln, ohne dabei die arme Jessica Hughes zu rammen, die mit ihrem verbeulten Honda Civic plötzlich auf der Nebenspur aufgetaucht ist, wahrscheinlich auf dem Weg zur Arbeit im Drugstore. «Und du sagst mir jetzt augenblicklich und sofort, was hier los ist, zum Teufel noch mal!»
«Vorsicht! Die meint das ernst», meldet Darcy sich von den billigen Plätzen zu Wort. «Hör mal, wie die redet. Neulich hat sie mich auf der Veranda fast verprügelt. Die ist zurzeit drauf wie Rambo persönlich.»
«Und ob ich das ernst meine!», blaffe ich. «Ich bin verdammt angepisst!»
Susanna starrt mich ungläubig an, und im Rückspiegel erhasche ich einen Blick auf Darcys verwirrtes Gesicht. «Was! Was ist? Habe ich etwa nicht das Recht dazu, angepisst zu sein, oder was?»
«Doch», sagt Susie. «Wir sind es nur einfach nicht gewohnt von dir.» Sie seufzt resigniert. «Also gut. Austin hat mir zwar strikt verboten, es dir zu sagen. Aber ich glaube, Ty ist hier in Westlake langsam ein bisschen kribbelig geworden, und deshalb hat er Jamie vor ein paar Tagen angerufen und nach einem Job gefragt.»
«Jamie hat ihn angerufen», verbessere ich sie.
«Äh.» Sie zögert. «Okay.»
Mein Magen stürzt im freien Fall wie ein kaputter Aufzug, und dann rastet etwas nicht Greifbares ein. «Und deshalb hat er Jamie vor ein paar Tagen angerufen und nach einem Job gefragt.» Er hat Jamie wegen des Jobs angerufen. Die Worte fahren in meinem Kopf Karussell, kreisen und kreisen, rundherum, versuchen, sich selbst einen Sinn zu geben, aber sie schaffen es nicht. Er hat Jamie wegen des Jobs angerufen.
«Warum sollte er das tun? Warum sollte er das tun und mich anlügen?» Ich biege von der Route 43 in Richtung Schule ab wie auf Autopilot, völlig automatisch, ohne zu registrieren, wohin ich fahre, ohne nachzudenken, denn würde ich jetzt nachdenken, würde ich die Flucht ergreifen, weit, weit weg fliehen, Hauptsache,
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