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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Regime des zeitweisen Ausnahmezustands zur Krisenbewältigung –, entwickelte aber auch, mit unverkennbarer Faszination, die Vorstellung von einer «souveränen Diktatur»: einer Alleinherrschaft, die auf dauerhafter Grundlage einer neuen, nicht mehr demokratisch verfassten Gesellschaft ruhte. Eine Rolle im Hintergrund spielte bei dem Geplänkel der extremen Rechten mit der Diktatur die von Lenin besonders hervorgehobene «Diktatur des Proletariats» in der marxistischen Theorie des revolutionären Übergangs zum Sozialismus und Kommunismus. Aber für Schmitt und andere Sympathisanten des Faschismus hatte der Diktaturbegriff andere Konturen; er war klarer, direkter, weniger metaphorisch.
    So kann man die Attraktivität der Diktatur ein Stück weit erklären: in einer politisch-kulturellen Landschaft, in der eine klare Definition von Demokratie abhanden kam und eine auf den Volkswillen gegründete Diktatur der oligarchisch erstarrten parlamentarischen Demokratie als überlegen galt. Aber wer die Demokratie damals entschieden verteidigte wie der österreichische Staatslehrer Hans Kelsen – engagierter Gegenspieler Carl Schmitts und 1940 in die USA emigriert –, der ließ sich über die Grenze nicht täuschen und auch nicht über die vermeintliche Harmlosigkeit der diktatorischen Alternative. «Das Ideal der Demokratie verblasst», schrieb Kelsen 1932 im Blick nicht nur auf Mitteleuropa, «und an dem dunklen Horizont unserer Zeit steigt ein neues Gestirn auf, dem sich die Hoffnung der Massen um so gläubiger zuwendet, je blutiger sein Glanz über ihr leuchtet: die Diktatur.»
3 Nach dem Ersten Weltkrieg:
Der kurze Frühling der europäischen Demokratie
    Das Ende des Ersten Weltkriegs führte in eine politische Neuordnung Europas, die nicht nur die Landkarte des Kontinents veränderte wie seit hundert Jahren nicht mehr, sondern vielen Ländern auch erstmals demokratische Institutionen und Freiheiten sowie die republikanische Staatsform brachte. Deutschland und die verbündeten «Mittelmächte» hatten zwar Russland besiegt und ihm Anfang 1918 den Frieden von Brest-Litowsk aufgezwungen, aber den überlegenen Ressourcen der westlichen «Entente» um Frankreich, Großbritannien und die USA bald nichts mehr entgegenzusetzen. Die Unzufriedenheit in Deutschland entlud sich in einer Revolution, die Ende Oktober 1918 mit einem Aufstand von Matrosen in Kiel begann und nur zehn Tage später in die Ausrufung der Republik in Berlin mündete. Die neue, demokratische Regierung unter Führung der SPD hatte sich bald mit den Bedingungen des Friedens auseinanderzusetzen, die in Paris ausgehandelt und in den fünf «Vorortverträgen» fixiert wurden, für Deutschland im Vertrag von Versailles im Juni 1919. Die territorialen Verluste und vor allem die hohen Reparationszahlungen, zu denen Deutschland sich verpflichten musste, haben die Krise und Auflösung der Weimarer Republik ein gutes Jahrzehnt später zwar nicht verursacht, der neuen Demokratie das Leben und die Stabilisierung aber auch nicht gerade leichter gemacht. Das wird von der Forschung inzwischen wieder mehr anerkannt als noch vor einigen Jahrzehnten.
    Der deutsche Blick auf die Folgen von Versailles und das Reparationsproblem hat die europäische Dimension manchmal in den Hintergrund treten lassen, in der das Friedensarrangement mit der nationalen Selbstbestimmung zugleich demokratische Regime etablierte. Die europäischen Reiche mit ihrem universalen Anspruch und antidemokratischem Selbstverständnis wie das Deutsche Kaiserreich, die Habsburgermonarchie und das Zarenreich waren am Ende; Deutschland verlor auch seine überseeischen Kolonien. Im revolutionären Russland überwogen noch die anti-imperialen Impulse der Selbstbestimmung für die im Zarismus unterdrückten Völker, was dem Baltikum und Polen neue Bewegungsfreiheit verschaffte. Am südöstlichen Rand Europas zerfiel das Osmanische Reich, das sich mit der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie berührt hatte, und gab dadurch den Balkan für einestaatliche Neuordnung frei. Während die Länder West- und Nordeuropas, von der Iberischen Halbinsel bis nach Skandinavien, ihre territoriale Gestalt kaum veränderten, überlagerten sich in Mittel-, Ost- und Südosteuropa mehrere Aufgaben auf komplizierte Weise. Ganz neue Staaten sollten aus der Erbmasse der Reiche

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