Was ist Demokratie
GroÃbritannien, Belgien und die Niederlande â und Skandinavien blieben der Demokratie treu.
Polen ist in vieler Hinsicht ein besonders charakteristisches Beispiel. Im späten 18. Jahrhundert hatte das Land seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität verloren und war zum Spielball preuÃisch-deutscher und russischer Hegemonie geworden. Nach dem Ersten Weltkrieg entstand erstmals wieder ein unabhängiger polnischer Staat, der sich im Krieg mit Russland noch bis 1921 auch nach auÃen behaupten musste. Die alte Adelsrepublik mitzählend, rief die Verfassung von1921 die zweite Republik aus, diesmal als eine parlamentarische Demokratie. Als nationale Führungs- und Integrationsfigur stand Józef PiÅsudski im Mittelpunkt des neuen Staates. Ursprünglich ein Sozialist, der sich im Krieg als militärischer Führer ausgezeichnet hatte, gewannen auch bei ihm, wie bei vielen charismatischen Politikern seiner Generation, Nationalismus und autoritäre Neigung die Oberhand. In einer Situation dauerhafter Instabilität des neuen Systems putschte PiÅsudski mit dem Militär 1926, beseitigte die Demokratie und kontrollierte das Land, in wechselnden Funktionen, bis zu seinem Tod 1935. Euphemistisch sprach man von einem Regime der «Genesung» von den Unruhen und vermeintlichen Krankheiten der demokratisch-parlamentarischen Zeit.
Die Geschichte der baltischen Staaten, von Estland, Lettland und Litauen, teilte mit der polnischen das lange doppelte Leiden unter deutscher und russischer Vormacht. Nehmen wir Estland: Russische Revolution und Ende des Weltkriegs boten die Chance zur Unabhängigkeit, die aber weder von Wilson noch aus Paris einfach verordnet oder garantiert werden konnte. Vielmehr musste das Land sich, nach einer Invasion der Roten Armee, diesen Status erst noch erkämpfen. Die Verfassung von 1920 machte Estland zur Republik und parlamentarischen Demokratie. Sie hielt zwar, formal gesehen, bis zur sowjetischen Besatzung 1940 als Folge des Hitler-Stalin-Paktes. Doch als während der Weltwirtschaftskrise eine Bewegung der radikalen Rechten aufstieg, wurde die Demokratie 1934 auÃer Kraft gesetzt.
Zu den Erfolgsgeschichten der Demokratie zählt zweifellos die Tschechoslowakei, eines der Zerfallsprodukte des Habsburgerreiches. Als gemeinsamer Staat der Tschechen und der Slowaken, dazu zahlreicher nationaler und sprachlicher Minderheiten â vor allem Deutscher im westlichen Sudetenland und Ukrainer im Osten â schien dieses Kunstgebilde nicht prädestiniert für eine demokratische Stabilisierung. Und es kostete groÃe Kraft, die nicht mehr imperial gebändigte Pluralität zivil und parlamentarisch zu balancieren. Eine Verfassungsreform machte 1927/28 den Föderalismus durch die Einführung von Regionalparlamenten stärker. Vor allem aber wirkte Thomas Masaryk, seit der Verfassung von 1920 Präsident der Tschechoslowakei und bis 1935 in diesem Amt, als Integrationsfigur und Schmied von Koalitionskompromissen. Im Gegensatz zu vielen anderen mittel- und osteuropäischen Demokraten der ersten Generation blieb er von autoritären Versuchungen frei, und das Land verlor seine Demokratie und Integrität erstdurch Hitlers aggressive Politik und die Zustimmung der Westmächte im Münchner Abkommen 1938.
Einen ganz anderen Weg nahm der andere Vielvölkerstaat, Jugoslawien, in dem das Königreich Serbien mit verschiedenen Nationalitäten des Habsburgerreiches zusammengefasst wurde. Als Faktor der Stabilität blieb die serbische Monarchie in dem neuen «Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen» erhalten, aber die zentrifugalen Kräfte überwogen, besonders im Konflikt zwischen Serben und Kroaten. Parlamentarismus und demokratische Kultur blieben schwach. Der Sonderweg setzte sich im Januar 1929 fort, als König Alexander putschte, die Verfassung auÃer Kraft setzte und sich als Diktator installierte; dabei benannte er den Staat auch in «Jugoslawien» um. Nirgendwo sonst trafen im frühen 20. Jahrhundert der alte und der neue Antipode der Demokratie, die Monarchie und die Diktatur, so unmittelbar und geradezu in Personalunion aufeinander wie hier. Ganz untypisch war das aber nicht, und insofern bezeichnend für das Spannungsfeld von alter und neuer Autokratie, in das die Demokratie in der Zwischenkriegszeit geriet: In Spanien stützte König Alfons XIII. 1923 den Putsch Miguel Primo de
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