Was ist Demokratie
20. Jahrhunderts nicht nur wissenschaftlich, sondern auch sehr publikumswirksam an.
Auf Vico berief sich zum Beispiel Robert Michels, als er 1928 «Grundsätzliches zur Demokratie» äuÃerte. Ein Ziel im entwicklungs-historischen Sinne sei sie keineswegs. «Man hat die Demokratie eine â¹Vollendung⺠nennen wollen. Das ist aber pure Ideologie.» Demokratische und aristokratische Perioden wechselten einander ab; ob die Geschichte letztendlich zur «Erkaltung der Erde» oder «zu Gottes ewigem Gericht» führe, wisse man nicht. «Aber das können wir schon sagen», war sich Michels dann doch sehr sicher: «genau wie die Aristokratie, so ist, historisch gesprochen, auch die Demokratie, als Staatsform wie als Massengesinnung, nicht eine Vollendung, sondern bloà ein Akzidens», nichts als ein historischer Zufall also. Diese Relativierung der Demokratie und des Liberalismus trat, trotz ihrer Kritik der naturwissenschaftlichen Geschichtsmechanik, selber mit wissenschaftlichem Anspruch auf. Sie machte das Fortschrittsdenken als Naivität lächerlich und glaubte, in der radikalen Historisierung einen methodisch sicheren Standort gefunden zu haben: Alles gehörte in seine Zeit, in besondere Umstände, in eine besondere Kultur. Der Liberalismus aber und die parlamentarisch-repräsentative Demokratie gehörten ins 19. Jahrhundert, in das bürgerliche Zeitalter, das mit dem 20. Jahrhundert immer mehr der Vergangenheit angehörte. So argumentierte etwa der völkisch-konservative Soziologe Hans Freyer um 1930.
Die Relativierung der Demokratie war, genau besehen, dreifach: Erstens konnte sie nicht mehr als die «beste», als irgendwie vor anderen ausgezeichnete Regierungsform gelten. Ihr
normativer
Vorrang war dahin, und Präferenzen dieser Art hatten überhaupt, so meinte man, in der Wissenschaft nichts zu suchen. Zweitens gab es keinen Fortschritt zur Demokratie, sondern nur demokratische Phasen in der Geschichte.
Teleologisch,
also zielgerichtet, lieà sich Demokratie nicht denken. Die Geschichte war kein Aufwärtspfeil, sondern eine Wellenbewegung; der Verlauf der Demokratie eine Parabel; der eigene Standort lag jenseits des Scheitelpunkts, im Moment des Niedergangs. Und drittens schienen auch die
empirischen
Grenzen der Demokratie zu verschwimmen. Wo hörte Demokratie auf und fing Aristokratie an, wenn das Volk sich doch «Führer» auswählte? Lieà sich die Grenze zwischen Demokratie und Diktatur überhaupt scharf ziehen? Unter den Voraussetzungen von Massengesellschaft, Technik und Hierarchie gab es vielmehr gleitende Ãbergänge, wenn die alten Kategorien der Politik überhaupt noch sinnvoll waren.
In welche Richtung ging die Entwicklung dann, und was war die Alternative? In einer weit verbreiteten Sichtweise löste sich nicht nur die Demokratie, sondern das ganze Raster der Regierungsformen ineine sach- und zweckorientierte Verwaltung auf. Parteienstreit und Ideologien, Liberalismus gegen Sozialismus, Demokratie gegen Monarchie â das war gestern; in der modernen Welt drängten sich bürokratische Verfahren in den Vordergrund. Wenn die Politik überhaupt «normative» Ziele verfolgte, wie etwa Wohlstand und ein gutes Leben, lieÃen sich diese Ziele am besten in sachlicher Administration erreichen. Erstaunlicherweise gehörten Linke, Rechte und sogar Liberale zu den Anhängern dieser Auffassung. Eine ihrer Wurzeln liegt im Frühsozialismus, besonders bei dem Franzosen Henri de Saint-Simon und seinen utopischen Vorstellungen einer zukünftigen freien Produzentengesellschaft. Ihm folgte die Idee vom Absterben des Staates im Marxismus; was im Kommunismus noch bleiben würde, waren die Verwaltung und Verteilung der erwirtschafteten Mittel, keine «Politik» im eigentlichen Sinne.
Auf der radikalen Rechten lockte am Anfang des 20. Jahrhunderts die Aussicht der Einschränkung von Parlaments- und Freiheitsrechten. Bürokratische Verwaltung, technische Imperative und autoritäre Führung fügten sich scheinbar zwanglos zu einem Muster. Und ein Liberaler wie Max Weber setzte sich in der Revolution von 1918/19 zwar vehement für den Ãbergang Deutschlands zur demokratischen Republik und sogar für ein starkes Parlament ein. Aber die eigentlichen Träger der Herrschaft waren für ihn «fachgeschulte Verwaltungsstäbe», ob es sich nun um eine Demokratie oder eine
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