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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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stand, das auf die Wurzeln und die historische Rechtfertigung der modernen, bürgerlich-demokratischen Lebensordnung zielte. Nachdem die athenische Polis auf diese Weise zum Ursprungsort der westlichen Zivilisation stilisiert wurde, oftmals auch in überheblicher Unterscheidung von den «orientalischen» Kulturen Vorderasiens und Nordafrikas, setzte in den 1980er Jahren eine Gegenbewegung ein. Waren die Griechen nicht Teil ebendieses kulturellen Raumes, sogar in wesentlicher Hinsicht ihr Produkt, weil ihre eigene Kultur ohne die Vorbilder und Aneignungen aus dem Südosten gar nicht denkbar gewesen wäre – angefangen mit der maßgeblichen Innovation der Alphabetschrift? Hatte Athene nicht eine schwarze Hautfarbe, fragte 1987 provokativ Martin Bernal in seinem Buch «Black Athena». Archäologische Erkenntnisse haben diese Zusammenhänge in letzter Zeit durchaus gestützt.
    Doch darf man sich das Urteil auch nicht durch eine moralisch gefärbte Haltung verstellen lassen, nach der die lange Zeit vom Westen geschmähten orientalischen Hochkulturen die Leistungen des klassischen Athen vorweggenommen oder in ähnlicher Weise mitvollzogen hätten. So lassen sich zahlreiche Hinweise für die Existenz von Versammlungen als Gremien der Beratung oder Entscheidung auch in anderen frühen Hochkulturen finden; John Keane hat das in seiner Geschichte der Demokratie kürzlich sehr hervorgehoben. Darin kann man, im weiteren Sinne, eine Wurzel demokratischer Impulse sehen. Über die Funktion dieser Versammlungen und ihre breitere Einbettung in ein System der bürgerschaftlich-egalitären Selbstregierung ist damit jedoch noch wenig gesagt. Nach allem, was wir wissen, war die klassische Demokratie nicht nur ein griechischer Sonderfall. Auch innerhalb der griechischen Stadtstaaten, der Poleis, hebt sich der Fall Athens ziemlich klar heraus. Die Verflechtung Athens in einen mediterranwestasiatischen Kulturraum wird damit gar nicht bestritten. Im Gegenteil: Wir – als moderne Westeuropäer oder Nordamerikaner – müssen nur aufhören, in dem Athen vor 2500 Jahren einen unmittelbaren Teil von uns selber zu sehen. Dann kann man weiterhin guten Gewissens sagen, wofür in der Forschung alles spricht: Die Griechen, die Athenerhaben die Demokratie erfunden. Aber sie taten es nicht als Teil des «Westens», geschweige denn in dessen höherem Auftrag.
2 Herrschaft des Volkes:
Funktionsweisen der athenischen Demokratie
    Wenn die Deutschen in wirtschaftlichen Krisenzeiten unsicher über ihr Vertrauen in die Demokratie werden, fällt oft der Begriff von der «Schönwetterdemokratie». Damit wird kritisch gefragt, ob die Zustimmung zu dieser politischen Verfassung sich in Westdeutschland nach 1945, vielleicht auch ähnlich in der ehemaligen DDR seit 1989, enger als anderswo an das Versprechen von Wachstum und allgemeinem Wohlstand knüpfte. Das klassische Athen war keine «Schönwetterdemokratie» in diesem Sinne, weil es eine solche Verbindung zwischen politischer Ordnung und ökonomischem Gewinn für die Bürger – von ökonomischem «output», wie die Politikwissenschaftler sagen – in der damaligen Vorstellungswelt gar nicht geben konnte. Aber wirtschaftliche Stabilität und Prosperität können, als ein «input»-Faktor, auch zur Voraussetzung von demokratischer Verfassung werden. So entstand und expandierte die Demokratie in Athen zu Zeiten wirtschaftlichen Wohlstandes und sozialer Stabilität im Innern, ebenso wie in einer Phase der Machtstellung dieser Polis nach außen. Sie hatte sich immer wieder in kriegerischen Konflikten zu bewähren und zeigte sich in Friedenszeiten in der Vormachtstellung im von Athen geführten Attischen Seebund. Man hat die Existenz dieses «Empire» sogar eine notwendige Bedingung des Übergangs zur radikalen Demokratie in der Mitte des 5.Jahrhunderts genannt. Das galt nicht nur für den Zusammenhang von Kriegstechnik und Bürgerverfassung, den die großen Ruderschiffe herstellten, sondern auch für direkte Abgaben, die Athen aus den verbündeten und unterworfenen Nachbarstaaten zuflossen.
    Wichtiger aber war die seit den Solonischen Reformen über viele Etappen erreichte Konstruktion einer einheitlichen Bürgerschaft, in der die Zugehörigkeit zur alten Führungsschicht des Adels am Ende für die Politik kaum mehr eine Rolle spielte, ohne dass Unterschiede von

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