Was ist Demokratie
Besitz und Einkommen an ihre Stelle traten. Aber was heiÃt «einheitliche» Bürgerschaft? Es bedeutete damals nicht die Zugehörigkeit aller erwachsenen Einwohner. Wie in fast allen politischen Systemen â einschlieÃlich der modernen Demokratien bis in das 20. Jahrhundert hinein âblieb Frauen der Zugang zum Bürgerrecht, zur politischen Beteiligung, zu politischen Führungspositionen grundsätzlich verwehrt. Während die gleiche Einbeziehung der Frauen seit der Mitte des 19.Jahrhunderts jedoch vorstellbar war und längst vor ihrer Realisierung in Worten und Taten gefordert wurde, tauchte dieser Gedanke in der athenischen Demokratie nicht auf. Ausgeschlossen waren auch die zugezogenen Einwohner Athens, überwiegend andere Griechen, die mehr oder weniger dauerhaft in der Stadt lebten: die sogenannten Metöken. Erst recht standen die Sklaven ganz auÃerhalb von Bürgerrecht und Partizipation.
In Zahlen sah das im 5. Jahrhundert ungefähr so aus: Stadt und umgebende Landgebiete zählten etwa 200.000 Einwohner, davon waren etwa 60.000 erwachsene Männer â die Zahl der vollberechtigten, also an den Verfahren und Ãmtern der Demokratie teilhabenden Bürger betrug etwa 30.000. Das ist eine, selbst an modernen MaÃstäben bis 1918 (teils auch bis 1945), sehr beachtliche Quote. Die Altersgrenze lag mit 18 Jahren sehr niedrig; nur für den Zugang zu bestimmten Ãmtern musste man älter sein. Und der Ausschluss der Metöken, der Fremden, hat in modernen Gesellschaften bis heute seine Entsprechung, wo «Ausländern», dauerhaft ansässig gewordenen Migranten, ohne die Staatsbürgerschaft auch die politischen Rechte fehlen, nicht zuletzt das Wahlrecht. Legt man heutige MaÃstäbe an, könnte man die athenische Verfassung vielleicht eine «unvollständige» Demokratie nennen, vergleichbar mit derjenigen der Schweiz vor 1971 oder der amerikanischen Südstaaten bis in die 1960er Jahre.
Entscheidend blieb jedoch, dass es innerhalb der sehr weit gefassten Bürgerschaft keine weiteren Bevorrechtigungen und Abstufungen nach Stand oder Vermögen gab â alle Bürger waren gleichermaÃen in die Ordnung der Isonomie, der Gleichheit, einbezogen. Die reicheren Bürger Athens mussten sogar in einem erheblichen Umfang für die Finanzierung des Gemeinwesens aufkommen, seiner Verfahren und Institutionen ebenso wie seiner Aufgaben wie der Rüstung und Kriegführung. In einem «Trierarchat» trugen sie die Kosten für die Unterhaltung eines groÃen Ruderschiffes, einer Triere, oder übernahmen eine «Liturgie», wörtlich: einen öffentlichen Dienst, und stellten damit aus ihrem Vermögen das Geld für eine bestimmte Aufgabe in Verwaltung, Kultur oder Bildung zur Verfügung. Daraus mochten sie zusätzliches Prestige ableiten, aber keinen politischen Führungsanspruch gegenüber den ärmeren Bürgern.
Wie übten diese Bürger nun ihre Demokratie aus? Im Verlaufe des 6. und 5. Jahrhunderts verloren die bisherigen Institutionen der Adelsmacht schrittweise ihre Bedeutung; ehemals exklusive Ãmter standen immer mehr und schlieÃlich allen Bürgern offen. Zwei Mechanismen verbürgten, dass buchstäblich alle Bürger diese Ãmter auch tatsächlich ausübten. Am wichtigsten war die Vergabe von Ãmtern durch das Losverfahren statt durch eine Wahl. Was uns heute willkürlich erscheint, bildete für die Athener geradezu die verfahrensmäÃige Essenz ihrer Demokratie. Denn das Losverfahren lieà alle zum Zuge kommen und war blind gegenüber sozialen Abhängigkeitsverhältnissen, die Reichere bei einer Wahl bevorzugt hätten. Es verhinderte die Bildung einer geschlossenen politischen Klasse. Dafür beruhte die Losung auf der Vorstellung einer Bürgerschaft mit prinzipiell einheitlichem Willen. Die liberale Idee unterschiedlicher Interessen und der Stimmabgabe für einen bestimmten Kandidaten als Ausdruck von Interesse und Ãberzeugung war in Athen unbekannt. Parteien, gar eine formelle Opposition gab es nicht. Damit auch ärmere Bürger, Handwerker etwa oder Bauern, ihren Erwerb eine Zeitlang zugunsten des politischen Amtes ruhen lassen konnten, wurden Diäten gezahlt; zunächst nur in geringem Umfang und für wenige Führungspositionen, schlieÃlich sogar für den Besuch der Volksversammlung. Damit wollte man auch deren
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