Was ist Demokratie
Demokratie war in besonderer Weise eine Verfahrensordnung, eine Verfassung der politischen Praxis. Sie aktualisierte sich in der freien und gleichen Rede, in der Volksversammlung oder in anderen Ãmtern und Institutionen. Das entsprach einer Gesellschaft, die trotz einer entwickelten Schriftlichkeit ganz überwiegend auf einer oralen Kultur gründete. Das Reden, das öffentliche Sprechen aller Bürger brachte die Demokratie wie kaum etwas anderes zur Geltung. Neben der allgemeinen Ordnung der Gleichheit, der Isonomie, stand deshalb die Isegorie, das gleiche Recht der Rede in der Volksversammlung, in höchster Wertschätzung. Nicht alle konnten davon in gleicher Weise Gebrauch machen; wer sich als guter, als mitreiÃender und überzeugender Redner erwies, konnte in der Volksversammlung erheblichen Einfluss ausüben; Perikles ist dafür ein Beispiel. So hat man Athen geradezu als eine «deliberative Demokratie» bezeichnet â und damit erneut einen modernen Begriff, ein Konzept des späten 20.Jahrhunderts aufgegriffen: Demokratie als öffentlicher und vernünftiger Austausch von Argumenten, als eine «horizontale» Form der bürgerlichen Selbstverständigung mehr als ein «vertikaler» Mechanismus des rationalen und durch Mehrheit legitimierten Entscheidens. So zeigt sich immer wieder: Wie fremd und anders die athenische Demokratie auch war, wir kommen in der Gegenwart kaum von ihr los.
3 Die römische Republik â
die andere antike Demokratie?
In der europäischen Erinnerung nimmt die klassische Geschichte Roms zwischen Republik und Kaiserzeit einen bevorzugten Platz direkt neben der der athenischen Demokratie ein. Aber ihre Bedeutung, ihre Orientierungsfunktion ist eine andere. Während sich mit Athen bis heute â neben Idealen der Bildung, des Sports oder der Kultur, zum Beispiel des Theaters â die besondere politische Verfassung im Innern verbindet,weckt Rom Assoziationen an einen riesigen, nach auÃen immer mehr gedehnten Machtbereich: an das «Imperium Romanum», das Römische Weltreich. Bis heute, und in den letzten Jahren wieder vermehrt in der Projektion auf die imperiale Stellung und militärische Macht der USA, gilt Rom auf diese Weise als Chiffre für einen globalen Herrschaftsanspruch, der mit überlegenen militärischen Mitteln gesichert wird, im Innern aber Lebenskraft und Freiheit verliert, bis er an dem krassen Missverhältnis zwischen imperialer «Ãberdehnung» und innerer Auszehrung zugrunde geht: So stand der Untergang des Römischen Reiches den Zeitgenossen seit dem späten 18. Jahrhundert mahnend vor Augen, wenn sie die mehrbändige Geschichte des englischen Historikers Edward Gibbon über den «Verfall und Untergang des Römischen Reiches» (1776ff.) lasen.
Mit der Unterwerfung fremder Völker, mit Kriegführung und Expansion verbindet sich tatsächlich nicht erst die Geschichte der Kaiserzeit seit 27 v. Chr., also seit der Errichtung des «Prinzipats» durch Gaius Octavius, der sich seitdem offiziell als «Augustus» verehren lieÃ. Auch die Geschichte der Republik sah über das halbe Jahrtausend zuvor eine beständige Ausweitung des Machtbereichs jener Stadt am Tiberfluss in Mittelitalien, die am Ende Hauptstadt eines Weltreiches war: Zunächst wurde die Halbinsel des «Stiefels» unterworfen, dann erfolgte der Sprung über das Mittelmeer nach Nordafrika â so in den Punischen Kriegen gegen Karthago im 3. Jahrhundert â, schlieÃlich das Ausgreifen nach West- und Mitteleuropa nördlich der Alpen, bei denen Caesars Feldzüge nach Gallien eine wichtige Rolle spielten, und in den östlichen Mittelmeerraum, nach Kleinasien und in den Nahen Osten. In Italien stützte sich Rom auf ein System der «Bundesgenossen», wie die unterworfenen, in Verträge gezwungenen Gebiete genannt wurden; bis hierher galt im Prinzip auch das Römische Bürgerrecht. Die übrigen Territorien der «Pax Romana» â denn die Römer hatten sie aus ihrer Sicht «befriedet» â wurden als abhängige Provinzen verwaltet.
Dieser Aufstieg vollzog sich im politischen Rahmen einer «Republik», seit die Römer am Beginn des 5. Jahrhunderts die Königsherrschaft der Etrusker abgeschüttelt hatten. Aus heutiger Sicht war damit ein Verfassungstyp etabliert, der in der Neuzeit, zumal im 18. und 19. Jahrhundert, eine gewaltige
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