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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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den Wahlen am 10. April 1946 durften erstmals auch Frauen mitstimmen. Noch im selben Jahr trat eine neue Verfassung in Kraft, welche die Tradition der kaiserlichen Monarchie nicht antastete; allerdings gab sich der Tenno miteiner mehr symbolischen Rolle zufrieden und akzeptierte den Übergang zur Volkssouveränität. Anders als in Deutschland fand die Besatzungszeit mit einem Friedensvertrag 1952 ihren formellen Abschluss; seitdem waren Japan und die USA durch einen Bündnisvertrag militärisch und politisch besonders eng verbunden. Die politische Landschaft blieb ein Jahrzehnt lang unübersichtlich und instabil, bis sich Ende 1955 die «Liberal-Demokratische Partei» (LDP) aus Vorgängerparteien bildete und bis in die 1990er Jahre, von großen Mehrheiten gestützt, den Premierminister und die Regierung stellte. Der sozialistischen Opposition blieb der Zugang zur Macht in diesem «Eineinhalbparteiensystem» versperrt. Insofern folgte Japan einem Muster der frühen Bundesrepublik wesentlich länger und ausgeprägter. Den Vorzügen der Stabilisierung stand, je länger desto mehr, der Nachteil politischer Konformität und eines uneingelösten Pluralismus gegenüber. Jenseits der frühen institutionellen Sicherung blieb Demokratisierung ein langwieriger kultureller Lernprozess, der sich mit der Bewältigung einer autoritären, gewalthaften, ja mörderischen Vergangenheit eng verknüpfte.
    Die Entstehung der indischen Demokratie ist eine ganz andere Geschichte, in der die britische Kolonialherrschaft den Ausgangspunkt bildet. 1858 war der indische Subkontinent unter die direkte Herrschaft Londons gekommen, die die informellen Strukturen des ökonomischen Imperialismus der «East India Company» ablöste. In der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, formierte sich eine Unabhängigkeitsbewegung gegen die Briten. Ihr wichtigster Führer und geistiger Inspirator war Mohandas Gandhi, ein in London ausgebildeter Jurist, der sich zwei Jahrzehnte lang in Südafrika für die Rechte der indischen Minderheit eingesetzt hatte. Dabei entwickelte er Strategien des gewaltfreien Widerstands und des zivilen Ungehorsams, mit denen er – im Verein mit seiner persönlichen Bescheidenheit – über die gebildeten Eliten hinaus weit in die einfache Bevölkerung hinein mobilisieren konnte. Seit seiner Rückkehr nach Indien im Jahr 1915 häufig als «Mahatma» (das heißt: «die große Seele») Gandhi verehrt, warb er auch dort für diese Strategien und wandte sie in der Bewegung der «Nichtzusammenarbeit» gegen die britischen Kolonialherren an. Angesichts bitterer Armut ging es dabei häufig um eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse zugunsten der einfachen Bevölkerung, etwa in dem berühmten «Salzmarsch» von 1930, der sich gegen das koloniale Salzmonopol richtete. Als Führer des Nationalkongresses stand Gandhi zugleich formell der organisierten Bewegung fürdie Unabhängigkeit vor. Die Briten ließen sich im Laufe der Zeit Zugeständnisse abringen oder gewährten sie in paternalistischer Großmütigkeit, etwa in der neuen Kolonialverfassung von 1935 mit ihrem Akzent auf föderalen Strukturen und provinzialer Autonomie. In diesen Institutionen konnte, der kolonialen Vormundschaft zum Trotz, parlamentarische und demokratische Kultur schon vor der Unabhängigkeit geübt werden.
    Am 15. August 1947 entließen die Briten Indien in die Unabhängigkeit, zunächst noch als ein «Dominion» innerhalb des Commonwealth. Zu dieser Zeit hatten sich die inneren Konflikte zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimischen Minderheit bereits so zugespitzt, dass die Muslime unter der Führung Muhammad Jinnahs einen eigenen Staat anstrebten und ihn, unter dem Namen Pakistan, auch erhielten. Gandhi, der sich vergeblich gegen diese Trennung gestellt hatte, fiel am 30.Januar 1948 dem Attentat eines hinduistischen Nationalisten zum Opfer. Zwei Jahre später, am 26.Januar 1950, trat eine neue Verfassung in Kraft, die Indien zu einer demokratischen Republik machte. Die ersten Wahlen ergaben einen überwältigenden Sieg der Kongresspartei unter ihrem Führer Jawaharlal Nehru, der von 1947 bis 1964 als Premierminister amtierte. Die Kongresspartei behielt noch Jahrzehnte länger ihre dominierende Stellung – ähnlich wie die LDP in Japan

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