Was ist Demokratie
und wie der südafrikanische ANC (African National Congress) Nelson Mandelas nach der Abschaffung der Apartheid und der Demokratisierung von 1994.
Das markierte ein Dilemma der postkolonialen Situation: Man hatte, in einem möglichst breiten Bündnis, den Unterdrückern Widerstand geleistet und tat sich nach dem Erfolg nicht leicht, in einen Pluralismus verschiedener Parteien überzugehen; die polnische «SolidarnoÅÄ» kannte nach 1989 dasselbe Problem. Die Demokratie hat das jedoch in keinem Fall substantiell beschädigt, eine (diktatorische) Einparteienherrschaft ist davon also scharf zu unterscheiden. Indien stabilisierte sich als die (nach der Bevölkerung) gröÃte Demokratie der Welt: trotz der gewaltsamen Konflikte zwischen Hindus und Muslimen in der Ãbergangszeit; trotz der dramatischen Armut, die manchen «Modernisierungstheorien» der Nachkriegszeit zufolge ein Hindernis der politischen Entwicklung darstellte: Denn gehörten nicht Demokratie und kapitalistischer Wohlstand untrennbar zusammen?
Das Beispiel Indiens unterstreicht, dass Demokratie auch in nichtwestlichen Kulturen erfolgreich adaptiert werden kann â westliche Arroganzgegenüber der angeblichen Unfähigkeit anderer Kulturen zur freien Selbstregierung war damit ebenso fehl am Platze wie die antiwestliche Gegenthese, der Westen solle und dürfe «sein» politisches Modell anderswo nicht verordnen und aufpfropfen. Um einen von den Briten verordneten Abklatsch ihrer eigenen Westminster-Demokratie handelte es sich zudem nicht. Demokratie war ja gerade ein Ergebnis des antikolonialen Unabhängigkeitskampfes, und in der heterogenen sozialen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Vielfalt des riesigen Landes musste sie auch eigene Formen finden. John Keane hat vor kurzem die indische Demokratie geradezu als den globalen Pionier postklassischer Demokratie des späteren 20. Jahrhunderts präsentiert, die über Wahlen, Parlamente und Parteien hinausgeht und auch für die Ãrmsten der Armen praktische Bedeutung erlangt. Damit stellt er die übliche Vorstellung von der Pionierrolle Nordamerikas und Westeuropas zwar wiederum zu einseitig auf den Kopf. Doch ein bloÃer Nachzügler oder Nachahmer demokratischer Dynamik des Westens ist Indien gewiss nicht.
Auf eine wiederum völlig unterschiedliche Konstellation stöÃt man in der Geschichte Israels. ÃuÃerlich teilt sie mit der indischen den postkolonialen Schritt in die Unabhängigkeit eines zuvor unter europäischer Oberhoheit stehenden Gebietes, denn GroÃbritannien war nach dem Ersten Weltkrieg im Auftrag des Völkerbundes «Mandatsmacht» über Palästina geworden. Aber die Sieger dieses Konfliktes waren nicht die dort lebenden Araber, sondern die jüdischen Siedler, die ungefähr seit der Jahrhundertwende in das heilige Land ihrer antiken Vorväter kamen. Sie folgten dem Ruf des Zionismus, einer seit einem Kongress in Basel 1897 auch formal organisierten Bewegung, die sich die Schaffung eines jüdischen Staates in Palästina auf die Fahnen geschrieben hatte. Darin steckte eine Reaktion auf europäischen und amerikanischen Antisemitismus, der den Juden trotz vieler Emanzipationsschritte nach wie vor entgegenschlug â und seit etwa 1900 in neuer, rassisch-pseudobiologisch begründeter Variante erst recht. Zugleich war der Zionismus selber eine Spielart des Nationalismus und vollzog insofern für die Juden nach, was andere Völker vormachten; aus der religiösen Einheit sollte eine nationale Einheit werden. Frühe Signalwirkung dafür hatte die britische Balfour-Deklaration von 1917, die (noch recht unverbindlich) Unterstützung für einen jüdischen Staat signalisierte.
Der Zionismus war also nicht in erster Linie eine demokratische Bewegung. Wie «Der Judenstaat» politisch verfasst sein sollte, den ein Vordenker wie Theodor Herzl in seinem gleichnamigen Buch von 1896skizzierte, spielte zunächst keine zentrale Rolle. Unter den Siedlern, die in den 1920er und 1930er Jahren nach Palästina strebten, befanden sich Konservative, Liberale und Sozialisten, die sich besonders in den utopischen Agrarkommunen der «Kibbuzim» engagierten. So wurden die Grundlagen der späteren Demokratie weniger in der Theorie gelegt oder von liberalen Mittel- und Westeuropäern im Gepäck mitgebracht, obwohl diese europäischen MaÃstäbe gewiss eine Rolle spielten.
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