Was ist Demokratie
Vor allem wuchs die vorstaatliche Demokratie in der Zwischenkriegsgesellschaft des «Jischuw», wie man die jüdische Siedlergemeinschaft in Palästina vor 1948 nennt. Das ländlich-sozialistische Kibbuzleben gehörte ebenso dazu wie die Formierung einer bürgerlichen Gesellschaft im schnell wachsenden, ultramodernen Tel Aviv. Politische Parteien differenzierten sich aus; der Zionismus pluralisierte sich. Frühformen der politischen Selbstverwaltung und Repräsentation entstanden noch vor dem britischen Mandat; in den 1920er Jahren übernahmen diese Institutionen, vor allem die «Jewish Agency» seit 1929, immer mehr Funktionen: für Einwanderung und Landverteilung, für Erziehung und Gesundheitswesen. Gleichzeitig spitzte sich der Konflikt mit den Arabern zu, die sich mehrfach zum Widerstand gegen die jüdischen Siedler und ihre geplante Staatsgründung erhoben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten die Vereinten Nationen deshalb Teilungspläne für einen jüdischen und einen arabischen Staat in Palästina, auf deren Grundlage David Ben-Gurion, Gründer der Arbeiterpartei Mapai und langjähriger Vorsitzender der «Jewish Agency», am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeit des Staates Israel erklärte, den er als Premierminister sogleich in den ersten arabisch-israelischen Krieg führte. Dass Israel eine demokratische Republik sein würde, war im Grunde unstrittig, auch wenn eine geschriebene Verfassung â ungewöhnlich für eine solche historische Situation der emphatischen Unabhängigkeit â nicht zustande kam. Die am 25.Januar 1949 gewählte Verfassunggebende Versammlung lieà die Arbeit daran versanden und ging in das reguläre Parlament, Knesset genannt, über. Die Knesset wählte auch Chaim Weizmann, den langjährigen Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, zum ersten Staatspräsidenten. Erst im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte trat eine Reihe einzelner «Grundgesetze» in Kraft, die zusammen eine Quasi-Verfassung bilden. Für die Praxis der israelischen Demokratie spielte das aber kaum eine Rolle. Das entscheidende Dilemma bleibt vielmehr bis heute der Konflikt mit den Palästinensern um die Teilung des Landes und die Zweistaatlichkeit,um die Anerkennung Israels und das friedliche Zusammenleben. Auch das Verhältnis von säkularer Staatlichkeit und jüdischer Identität steht dabei zur Debatte.
Japan, Indien, Israel: Lassen sich diese drei Beispiele überhaupt gemeinsam diskutieren? Einerseits wird darin eher die Vielgestaltigkeit der Wege zur Demokratie im 20. Jahrhundert deutlich. Andererseits teilen diese Länder die besondere welthistorische Situation von 1945, in der sich nicht nur für Deutschland, Italien oder andere, von der NS-Herrschaft befreite europäische Länder ein neues Fenster der Demokratisierung öffnete. In keinem Fall handelte es sich freilich um einen einfachen oder sorglosen Schritt. Ãberall stand der Ãbergang in die Demokratie im Schatten der Gewalt: von eigener Schuld und eigenem Trauma wie in Japan, von ethnisch-kulturellen Konflikten, Kriegen und Bürgerkriegen wie im Nahen Osten oder in Südasien. In solchen prekären Situationen konnte sich Demokratie nicht dauerhaft durchsetzen, indem man von auÃen â durch Kolonial- oder Siegermächte â einen Schalter umlegte, sondern nur auf der Basis einer über Jahrzehnte gewachsenen Kultur der Partizipation, des Kampfes für Freiheit und Unabhängigkeit und der zivilen Selbstverwaltung. Westliche und einheimische Einflüsse spielten auf komplizierte Weise zusammen und manchmal auch gegeneinander, wo demokratische Unabhängigkeit sich gegen die europäische Vormundschaft richtete und doch von der Umdeutung und Aneignung europäischer Traditionen profitieren konnte. Demokratie nach 1945 musste auch nicht automatisch in ein Bekenntnis zum liberalen Kapitalismus amerikanischer Prägung führen, wie die sozialistischen Strömungen Israels und zumal Indiens beweisen, das zu einem Führer der Blockfreienbewegung wurde und sich zeitweise eng an die Sowjetunion anlehnte. Die «Dritte Welle» schwappte also nicht einfach, von Nordamerika ausgehend, über den Atlantik und Pazifik.
5 Mittel- und Osteuropa:
Kommunismus gegen Demokratie
Oft verengt sich eine Geschichte der Demokratie nach 1945 auf die Welt westlich des «Eisernen Vorhangs», auf Westeuropa und die
Weitere Kostenlose Bücher