Was ist Demokratie
könnten, oder als eine Form offener plutokratischer Herrschaft.» Gerade diese gebildeten Eliten aber verwandelten sich in den 50er und 60er Jahren. Als Ãltere lösten sie sich von der bildungsbürgerlichen Sonderideologie oder passten diese doch der neuen demokratischen Ordnung an; als Jüngere traten sie diesen Traditionen selbstbewusst und manchmal frech, provokativ entgegen, analysierten die demokratischen Defizite ihres Landes und skizzierten ein neues, positives und dynamisches Verhältnis der Deutschen zur Demokratie. Als Wissenschaftler transformierten sie ihre Fächer an den Universitäten in Bastionen der Demokratiewissenschaft; als Journalisten fochten sie vehement für eine kritische Ãffentlichkeit, die sich von der Regierung nicht beeindrucken lieÃ.
Einen langen Weg hatte die ältere Generation der Konservativen zurückzulegen, denn einen überzeugten demokratischen Konservatismus hatte es in Deutschland, erst recht in PreuÃen, eigentlich nie gegeben. Seit dem Vormärz hatte man die Monarchie und den starken Staat gegen liberal-parlamentarische Positionsgewinne verteidigt; in Weimar war man allenfalls bei den Rechtsliberalen, der DVP, «vernunftrepublikanisch»; die DNVP bekämpfte die erste deutsche Demokratie und sehnte sich zunehmend nach dem autoritären und «völkischen» Führerstaat. Konservative Intellektuelle hatten sich als Vordenker solcher Ordnungsmodelle profiliert und mussten sich nach 1945 neu orientieren, zumal eine Rückkehr zur Monarchie als Staatsform für Westdeutschland nie in Frage kam â anders übrigens als in Japan und in Italien, das 1946 darüber eine Volksabstimmung abhielt. So akzeptierten die Konservativen seit den frühen 1950er Jahren, zuerst manchmalzögernd und widerwillig, die westliche parlamentarische Demokratie. Praktisch-politisch integrierten sie sich gröÃtenteils in die CDU, deren Wurzel im katholischen Zentrum â wie im Falle Adenauers â einen demokratischen Anker schlug. Intellektuelle gingen auf gröÃeren Abstand zur Politik, indem sie wie Carl Schmitt die «Sicherheit des Schweigens» (Dirk van Laak) bevorzugten oder wie Hans Freyer in eine diffusere, vordergründig unpolitische Kulturkritik, eine «Theorie des gegenwärtigen Zeitalters», flüchteten.
Mit der Demokratie konnte man sich umso leichter abfinden, als man mit ihr auf der Seite der Sieger stand und mit dem liberalen Individualismus gegen den «Kollektivismus» und die «Vermassung» der Gesellschaft, die man den Kommunismus betreiben sah, zu Felde ziehen konnte. Genauso wichtig wie die programmatische Verschiebung war eine Ãnderung der Haltung: In den 1920er und 30er Jahren waren gerade die damals Jüngeren übereifrige Propagandisten der «Tat», der «Aktion», wie es in der Sprache der Zeit hieÃ. Die vermeintlichen demokratischen Missstände zwangen zum Handeln, möglichst sofort und um beinahe jeden Preis. An die Stelle dieses radikalen Voluntarismus trat eine skeptischere und gelassenere Grundhaltung; konservative Intellektuelle sahen sich als Beobachter der Zeit von distanzierter Warte. In den 60er und 70er Jahren rückten Jüngere nach, denen die Kämpfe der Zwischenkriegszeit fremd waren; sie standen wie der Philosoph Hermann Lübbe (geb. 1928) auf dem Boden des demokratischen Nachkriegskonsenses, hatten öfters sogar mit der SPD sympathisiert und fanden in der Studentenbewegung und der «Neuen Linken» einen Gegner, gegen den sie nunmehr die liberal-parlamentarische Demokratie verteidigen konnten.
Seit den späten 50er Jahren begann überhaupt eine jüngere Generation, einen westlichen Begriff von Demokratie und offener Gesellschaft auch offensiv, und ganz bewusst gegen die antidemokratischen Traditionen des eigenen Landes, zu verfechten. Der junge Soziologe Ralf Dahrendorf trieb seine Landsleute immer wieder dazu an, den Konflikt als Grundprinzip einer freien Gesellschaft endlich zu akzeptieren, statt weiterhin der Neigung zu Konsens, Konformität und obrigkeitlicher Definition des «Gemeinwohls» von oben herab zu frönen. Sein 1965 veröffentlichtes Buch über «Gesellschaft und Demokratie in Deutschland» war eine Abrechnung mit den antidemokratischen, illiberalen Traditionen, von denen sich die Bundesrepublik in ihrer Hinwendung zum Westen lossagen müsse. Dafür bestanden alle Chancen, denn Dahrendorfvertrat
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