Was ist Demokratie
erlangte dieser griffige Titel bald Kultstatus. Tatsächlich blieben dem jungen Staat äuÃere Herausforderungen durch offen antidemokratische Bewegungen gröÃeren AusmaÃes zunächst erspart; das Parteiensystem begann sich in der Mitte der 50er Jahre von der Weimarer Vielfalt, die sich noch in der Bundestagswahl von 1949 deutlich gespiegelt hatte, zu jenem «Zweieinhalbparteiensystem» zu entwickeln, das bis zum Aufstieg der Grünen in den 1980er Jahren so prägend blieb: Union und SPD als dominierende demokratische Volksparteien, dazwischen die liberale FDP als bürgerliches «Zünglein an der Waage». Die CDU saugte erfolgreich die bürgerlichen und nationalkonservativen Parteien älteren Typs wie die «Deutsche Partei» oder den «Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten» auf.
Man kann gut nachvollziehen, dass für die Zeitgenossen diese Perspektive einer schnellen Konsolidierung der Demokratie im Vordergrund stand. Sie vernachlässigte allerdings, wie auch der Vergleich mit Weimar, die Besonderheiten einer politischen Kultur und Gesellschaft
nach
dem Nationalsozialismus. In einer Konstellation der besiegten Diktatur, die viele Deutsche keineswegs als Unterdrückung und Fremdherrschaft empfunden hatten, des verlorenen Krieges, der Besetzung und Teilung des Landes war radikaler und manifester Widerstand gegen die neue politische Ordnung wohl gar nicht so sehr zu erwarten. Aber autoritäre und antidemokratische Gesinnung, vielleicht sogar Sympathie für Hitler und den Nationalsozialismus, lebten an vielen Stellen fort, auch wenn nicht jeder das auszusprechen wagte. Schon in der Gründungsphase der Bundesrepublik schlug die Stimmung in eine «Schlussstrich-Mentalität» um, nach der es nun «endlich» ein Ende haben müsse mit dem Hinweis auf deutsche Schuld und deutsche Verbrechen und man zur Normalität übergehen solle, unter Einschluss der früheren Nationalsozialisten, die die Entnazifizierung und die erste Welle der Strafverfolgung überstanden oder sich ihr entzogen hatten.
Das diffuse Gefühl der Normalisierung fand schnell Ausdruck in einer «Vergangenheitspolitik» des Bundestages, zum Beispiel in dem Gesetz über die sogenannten «131er» vom 10. April 1951. Unter Berufung auf den Art. 131 GG sollten Beamte, die nach dem 8. Mai 1945 wegen der Unterstützung des NS-Regimes und seiner Verbrechen ihre Stellung verloren hatten, wieder in den Staatsdienst zurückkehren, sofern sienicht als «Hauptschuldige» oder «Belastete» eingestuft waren. Ob damit auch ein individueller Lernprozess, erst recht ein Anerkenntnis eigener Schuld verbunden war, blieb oft zweifelhaft, auch wenn viele aus den zurückkehrenden Eliten sich jetzt in den Dienst der Demokratie stellten. Der bekannteste, bis heute geradezu symbolträchtige Fall ist der Aufstieg des Juristen Hans Globke zum Chef des Bundeskanzleramts und engen Berater Konrad Adenauers seit 1953. Globke war im Reichsinnenministerium seit 1934 an der Ausarbeitung und Kommentierung der «Nürnberger Gesetze» von 1935 und an anderen MaÃnahmen der nationalsozialistischen Rassepolitik und der Vorbereitung des Holocaust beteiligt; an seiner radikal antisemitischen und demokratiefeindlichen Haltung zumindest bis 1945 konnte kein Zweifel bestehen.
Solche offene Kontinuität und «Verwandlung» von Eliten belastete die junge Bonner Demokratie, war aber auch damals umstritten und wurde in der Ãffentlichkeit teils scharf kritisiert. Andere passten sich eher im Stillen an die neuen Verhältnisse an und versuchten aus dem Hintergrund Fäden zu ziehen wie Werner Best, ein hochintelligenter Jurist, der zu den radikalen Ideologen der Rasse- und GroÃraumpolitik im «Dritten Reich» gehörte und als hoher Polizeichef und SS-Führer im Umfeld Himmlers und Heydrichs zugleich wichtigen praktischen Anteil an der Judenverfolgung hatte. Nach mehreren Jahren in dänischer Haft kam er 1951 in die Bundesrepublik und wirkte als Anwalt und FDP-Mitglied hinter den Kulissen zugunsten der Amnestie von NS-Tätern. Besonders die nordrhein-westfälische FDP diente in den frühen 50er Jahren als ein Sammelbecken für Alt-Nazis. Ein stabiles demokratisches Parteiensystem schloss also antidemokratische Gesinnung und Bestrebungen nicht aus. Die in den unmittelbaren Nachkriegsjahren intensive Debatte über Schuld und Verbrechen â
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