Was ist Demokratie
alldem sollte man die demokratische Kraft des Internets dennoch nüchtern betrachten, einschlieÃlich ihrer Grenzen und Gegenkräfte. Der Umbau von Expertenstrukturen zu Laiennetzen kann in der Wissenschaft oder im Journalismus zu Qualitätsverlusten und Legitimationsproblemen führen. In der Politik stellt sich, analog dazu, die Frage nach der Repräsentativität von Web-Partizipation, und auch nach der Dauerhaftigkeit ihres Engagements. Neben viel spontaner Teilhabe braucht Demokratie als Regierungsform auch stabile Institutionen, die durch gesatzte Verfahren legitimiert sind. Dafür bietet die digitale Welt bisher keine Alternative. Sie ist eine Technologie und stellt Werkzeuge zur Verfügung. Vor ihrer Stilisierung zu einer Art Gegenwelt der autonomen Selbstverwirklichung, wie sie in internetaffinen Milieus mit dem (insofern: ganz traditionellen) romantischen Ãberschwang von Protestbewegungen betrieben wird, sollte man sich hüten. Das Internet eröffnet neue Freiheitsspielräume und wirft alte Freiheitsfragen neu auf. Aber es setzt weder die bisherigen Freiheitsrechte auÃer Kraft noch die Grundregeln im Umgang mit der Freiheit aus zweihundert Jahren Demokratiegeschichte.
Mit dem Streben nach politischer Transparenz und einer bürgernahen Kontrolle der Regierungen klinkt sich die Internetpolitik in einen mächtigen Trend der jüngeren Demokratiegeschichte ein: Demokratie als ständige Beobachtung der demokratischen Obrigkeit durch das Volk, dem es längst nicht mehr genügt zu wählen. Julian Assange hat sich selber und seine Plattform WikiLeaks in diesem Sinne als Kämpfer für Demokratie stilisiert. Dass jedoch auch demokratische Regierungen und politisches Handeln überhaupt auf Vertrauen und funktionale Vertraulichkeit angewiesen sind, geriet dabei zeitweise ebenso aus demBlick, wie der demokratische Zweck ungesetzliche Mittel des Zugangs zu Informationen zu heiligen schien. Eine ganz andere Gefahr bringt das Schlagwort von der «Digital Divide» zum Ausdruck: Der Zugang zum Internet kann (bisher) nicht von allen Teilen der Bevölkerung gleichermaÃen genutzt werden, so dass die digitale Spaltung eine soziale Spaltung der Gesellschaft nicht nur abbildet, sondern möglicherweise vertieft. Wie es auch für andere Aspekte der postklassischen und partizipatorischen Demokratie gilt, verstärkt das Internet die Schlagseite zu einer Demokratie der Mittelklassen und der Gebildeten.
Die politische Vernetzung im «virtuellen» Raum bietet groÃe Chancen jenseits der nationalstaatlichen und lokal-regionalen Demokratie. Aber Demokratie bleibt wohl auch eine «Präsenzveranstaltung», die immer wieder der Kommunikation unter physisch Anwesenden bedarf. Das gilt für das Parlament in besonderer Weise, jedoch kaum weniger für Handlungsformen der partizipatorischen Demokratie, die im letzten halben Jahrhundert so wichtig geworden sind, vom Sit-In bis zur Verhandlung am Runden Tisch. Gerade wenn man die revolutionäre Qualität der digitalen Revolution anerkennt, sollte man nicht vergessen: Seit der Erfindung der modernen Demokratie um 1800 haben sich Kommunikation und Verkehr mehrfach dramatisch verändert, von den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen zwischen spätfeudaler Agrargesellschaft, Hochindustrialisierung und postmoderner Dienstleistungsgesellschaft ganz zu schweigen. Die Arbeitsweise eines Parlaments ist davon seit dem frühen 19. Jahrhundert bis heute erstaunlich wenig erschüttert worden; auch nicht die Grundbedeutung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ohnehin lassen sich die Wirkungen der jüngsten Kommunikationsrevolution höchstens in Umrissen erkennen. Aber es scheint sicher, dass eine Dynamisierung der Demokratie dazugehört. Das Internet eröffnet ein weiteres Fenster in die vielfältige Welt der nachklassischen Demokratie.
8 Anwälte und Kläger:
Eine Demokratie der Verantwortlichkeit
Im Protest gegen ein neues Autobahnteilstück schlieÃen sich Bürgerinnen und Bürger zusammen und reichen eine Klage beim Verwaltungsgericht ein. Nicht nur Anwohner der geplanten Trasse, nicht nur unmittelbar Betroffene machen mit; vielen geht es um den Schutz derNatur im Allgemeinen oder für die nachfolgenden Generationen. Andere spenden für eine Menschenrechtsorganisation, die auf politischen Kanälen und in der Ãffentlichkeit Druck auf Regierungen ausübt â nicht nur auf
Weitere Kostenlose Bücher