Was ist Demokratie
Bürgeröffentlichkeit der Aufklärung durch die kommerzialisierte und organisierte Medienöffentlichkeit des 19. und 20. Jahrhunderts der Demokratie geschadet. Das Internet mit seinen Bürgerjournalisten macht die Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten von öffentlicher Meinung wieder durchlässiger.
Als ein effektives Werkzeug der Demokratie erscheint das Internet mithin, wenn man auf seine Möglichkeiten der politischen Mobilisierung blickt. Neben dem allgemein erleichterten Zugang zu politischer Aktivität und MeinungsäuÃerung lassen sich zwei Konstellationen unterscheiden. Zum einen ermöglichen die digitalen Technologien es den Bürgerinnen und Bürgern in etablierten Demokratien, sich auf neue Weise im Wahlkampf zu engagieren â und den Politikern, ihre Anhänger und Unterstützer wirksam zu mobilisieren. Die Kampagne von Barack Obama zunächst in den amerikanischen Vorwahlen der Demokraten,dann im eigentlichen Präsidentschaftswahlkampf im Jahre 2008 hat dafür auch international neue MaÃstäbe gesetzt. Obama präsentierte sich nicht nur, veränderten Mediengewohnheiten folgend, im Internet oder verschickte Emails, sondern nutzte das interaktive Potential des «Web 2.0» für die Einbeziehung seiner Anhänger, vor allem mit Hilfe des Twitter-Dienstes und der Website « mybarackobama.com ». Das funktionierte in einer Gesellschaft, in der politische Parteigängerschaft ohnehin kaum durch formelle Parteimitgliedschaft ausgedrückt wird, sondern durch freiwilliges und informelles Engagement, besonders gut. In Europa, auch im deutschen Bundestagswahlkampf von 2009, lieà sich die Gewinnstrategie des amerikanischen Präsidenten deshalb nicht ohne weiteres kopieren.
In der anderen Konstellation dient die Nutzung des Internets dem, was man die subversive Kommunikation in autoritären Regimen nennen könnte â einschlieÃlich der Mobilisierung in Protest und Revolution. Die grenzenlose und immaterielle Informationsfreiheit des Internet ist Diktaturen ohnehin ein Dorn im Auge; die klassischen Mechanismen der staatlichen Kontrolle von Medien durch Zensur von Zeitungen oder ein gehorsames Staatsfernsehen greifen nicht ohne weiteres. Aber man kann, wie in China, das Internet für die eigenen Bürger teilweise sperren oder es sogar ganz lahmzulegen versuchen, wie es das ägyptische Regime im Frühjahr 2011 versuchte. In der Zuspitzung von Konflikten, in Protest und Widerstand, hat sich der Nachrichtendienst Twitter als besonders effektives Instrument zur Vernetzung einer organisationsschwachen Opposition erwiesen. Die Proteste im Iran nach den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 2009 profitierten davon zum ersten Mal; anderthalb Jahre später twitterten auch die Demonstranten des arabischen Frühlings, in Ãgypten und anderswo, um ihre Proteste zu koordinieren und die Ãffentlichkeit, nicht zuletzt im Ausland, zu informieren. Ob diese Kommunikation so wichtig war, dass man von «Twitter-Revolutionen» sprechen kann, mag man bezweifeln. Aber unstreitig förderten Internet und mobile Kurznachrichten die oppositionellen Kräfte und schwächten die autoritären Regime.
Und schlieÃlich zeigt die digitale Revolution ihre politische Prägekraft, indem sie eine eigene Partei hervorgebracht hat: die «Piraten», deren Selbstverständnis und Programmatik im Anspruch auf ein «freies» Internet wurzelt â frei von staatlich-administrativer Regulierung ebenso wie von Eigentumsansprüchen auf Wissen im Urheberrecht und in Patenten. Zuerst in Schweden 2006 gegründet, folgtenbald Piratenparteien in Deutschland und den meisten anderen westeuropäischen Ländern sowie Kanada. Die Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 brachten einen Schub und zwei schwedische Mandate in StraÃburg; in der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September 2011 eroberten die Piraten 8,9 Prozent der Stimmen. Global haben sich die Piraten 2010 als «Pirate Parties International» zusammengeschlossen. Ob die Piraten sich dauerhaft etablieren, lässt sich derzeit ebenso wenig sagen wie man 1982 den Erfolg der «Grünen» hätte voraussagen können. Aber der Vergleich liegt nahe, weil auch vor drei Jahrzehnten ein fundamentaler soziokultureller Umbruch â der ökologische Paradigmawechsel der Industriegesellschaften â in Organisierung und Parteibildung mündete.
Nach
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