Was ist Demokratie
unter anderen, um die Zugänglichkeitöffentlicher Dienstleistungen zu verbessern. Es geht aber auch um die Transparenz staatlicher Organe, die sich in der erhöhten Sichtbarkeit zugleich neuer Kontrolle ausgesetzt sehen. So ist es leicht geworden, sich auf der Website des eigenen Abgeordneten über dessen Biographie, über ehrenamtliche Tätigkeiten und Nebenverdienste zu informieren. Transparenz und Kontrolle können jedoch auf die Bürger zurückschlagen, wenn der Staat Informationen elektronisch sammelt und an beliebigen Stellen verfügbar machen kann. Deshalb stehen Datenschutz und Demokratie in einem engen Verhältnis, das im Grundrecht auf «informationelle Selbstbestimmung» festgehalten ist, wie es das Bundesverfassungsgericht schon 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil formuliert hat.
Zum e-Government rechnet man auch elektronische Verfahren in den demokratischen Prozessen selber. Die Stimmabgabe an einem Wahlcomputer, statt auf dem Stimmzettel aus Papier, hat ebenfalls das Bundesverfassungsgericht 2009 gestoppt, weil die Geräte die einfache und öffentliche Ãberprüfbarkeit nicht gewährleisteten. Auch in anderen Ländern sind die Bedenken in letzter Zeit eher gewachsen, selbst in den USA, wo solche Geräte, einschlieÃlich mechanischer Vorläufer zum Stanzen von Wahlscheinen, schon länger gebräuchlich sind. In dieser Arena ist mit einem Durchbruch digitaler Demokratie nicht so schnell zu rechnen â und selbst wenn, würde es sich eher um eine äuÃere, technische Umstellung handeln, die am Kern der politischen Wahl nichts verändert.
Ungleich folgenreicher ist deshalb die tiefe Prägung des vorpolitischen Raumes von Kommunikation und Ãffentlichkeit durch das Internet. Seine technischen Möglichkeiten haben soziale Mechanismen und kulturelle Spielregeln neu definiert â und dabei zwar nicht die Demokratie neu erfunden, aber Hierarchien aufgebrochen und Teilnahmechancen vermehrt. Das Internet kennt kein Zentrum, und es benötigt keinen «Kopf». Es gibt keine starre Ordnung vor, sondern stiftet Ordnung im Prozess der Vernetzung von Gleichrangigen. Damit ist es zum Katalysator gesellschaftlicher Veränderungen geworden, die schon Jahrzehnte vorher in Gang gekommen waren: einer Infragestellung von Autoritäten, einer Kritik an hierarchischer Ordnung und elitärer Führung. Das Internet zeigt also eine auffällige Nähe zu Grundmotiven des Protests und der Neuen Sozialen Bewegungen, welche die westlichen Demokratien seit den 1960er Jahren dynamisiert haben, etwa zum «Graswurzel»-Prinzip und zur Abkehr des politischen Aktivismus vonformal organisierten GroÃverbänden. Es beschleunigt den Umbau von einer «vertikalen» in eine «horizontale» Gesellschaft und senkt die Schwelle der Partizipation. «Speakersâ Corner» ist jetzt nicht mehr nur am Londoner Hyde Park, sondern für jeden und überall, sofern ein PC oder ein Mobiltelefon zur Verfügung steht.
In diesem Sinne hat auch die Online-Enzyklopädie «Wikipedia» die Vorstellungen von der Organisation und Kontrolle des Wissens revolutioniert. Nicht mehr Experten mit hoher Reputation in der Wissenschaft etablieren einen Kanon des Wissens, aus dem sich die Nutzer wohl oder übel bedienen müssen. In gewissen Regeln kann vielmehr jeder seinen Beitrag zur Wissensproduktion leisten; die Grenzen zwischen Produzenten und Nutzern verschwimmen. Als Kontrollinstanz fungiert nicht mehr eine übergeordnete Autorität, sondern die «Schwarmintelligenz» einer vernetzten Gemeinschaft. Solche «Ent-Expertisierung» strahlt auch auf die Politik aus: zum einen, weil die Vision einer Expertenherrschaft der besonders Klugen und Kompetenten immer wieder als Gegenentwurf zur Herrschaft des Volkes gedient hat; zum anderen, weil in politischen Konflikten ähnlich operiert wird, wenn Bürgerinnen und Bürger den Versicherungen von Experten nicht mehr trauen und die Ãberprüfung umstrittener Sachverhalte selber in die Hand nehmen. Davon ist auch die professionelle Ãffentlichkeit des Journalismus zunehmend betroffen, wenn Nachrichten von Bloggern und Twitterern produziert werden; oder wenn der klassische Kommentar, oft mit der Autorität des Chefredakteurs oder Ressortleiters versehen, durch eine Vielzahl von Blogs im Internet abgelöst wird. Folgt man Jürgen Habermas, hat die Ablösung einer egalitären
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