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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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verläuft, ist indes häufig schwer zu sagen. Ist der ADAC eine Autofahrerlobby, während der VCD – der 1986 gegründete Verkehrsclub Deutschland – höhere Ziele eines ökologischen Gemeinwohls verfolgt? Auch die neuen Gruppierungen verfolgen Interessen und sind «stakeholder» im Kampf um Positionen und Prägekraft in der Gesellschaft; nicht selten umgeben sie sich erfolgreich mit einer höheren moralischen Legitimation ihres Tuns, die man kritisch befragen muss.
    Dennoch: Man kann im Übergang zur anwaltschaftlichen Demokratie einen fundamentalen Bruch mit dem liberalen Modell pluralistischer Demokratie sehen, wie es im späten 18. Jahrhundert formuliert und nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal erneuert wurde. Danach existiert ein «Gemeinwohl» nicht, und politische Entscheidungen bilden sich im Wettbewerb verschiedener Interessen heraus. Damit waren zunächst individuelle Eigeninteressen gemeint, die der eine als Landwirt, der nächste als Fischer und ein dritter als Händler verfolgte; später auch kollektive Interessen in der industriellen Klassengesellschaft der Unternehmer und Arbeiter. Dieser Typus von Gesellschaft hat sich zwar nicht ganz aufgelöst, ist aber von einer Gesellschaft der Bürger und Konsumenten überlagert worden. Nicht materielle Interessen führen Menschen dabei in politisches Engagement, sondern ihre Betroffenheit als Verbraucher im ökonomischen Sinne und – im übertragenen Sinne – als Abnehmer staatlicher Entscheidungen, die in ihr Leben eingreifen. Neben die Verteidigung des eigenen Lebens ist das Engagement für andere getreten. Soweit Bürgerinnen und Bürger sich zum Anwalt für Dritte machen, könnte man deshalb auch von einer Stellvertreterdemokratieoder einer treuhänderischen Demokratie sprechen. Häufig sind Einzelinteressen verpönt, weil sie dem Wohl einer größeren Gruppe oder der Allgemeinheit im Weg zu stehen scheinen.
    Jenseits von Markt und Staat: Damit verbindet sich zum einen Kritik gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft, vor allem großen Konzernen und multinationalen Unternehmen. In der Regel ist das jedoch kein sozialistischer Antikapitalismus, sondern eine Skepsis aus der Sorge um individuelle Autonomie und soziale Gerechtigkeit. Zum anderen, und vielleicht noch mehr, richtet sich der Blick dieser neuen Demokratie kritisch gegen den Staat, gegen Parlament, Regierung und Verwaltung. Denn diese werden nur bedingt als «eigene», nämlich durch Wahl und Partizipation der Bürger erst zustande gekommene Institutionen begriffen. Jedenfalls müssten sie der ständigen Kontrolle der Bürgergesellschaft unterworfen, beobachtet und durchleuchtet werden. Das Motiv der zivilgesellschaftlichen Kontrolle der repräsentativen Demokratie ist in den beiden letzten Jahrzehnten so wichtig geworden, dass man von einer «monitory democracy» spricht. Der Politologe und Historiker John Keane wählt dies sogar als Oberbegriff für eine dritte Phase in der langen Geschichte der Demokratie, die auf die Versammlungsdemokratie der Antike und die repräsentative Demokratie des 18. bis mittleren 20. Jahrhunderts gefolgt sei.
    Die Beobachtung und Kontrolle des Staates durch das Volk hat zwei Aspekte. Erstens geht es um die Transparenz des staatlichen Handelns. Das kann sich auf die Bekämpfung von Korruption (auch in Unternehmen) konzentrieren wie bei der 1993 auf Initiative von Peter Eigen gegründeten «Transparency International» oder dem noch jüngeren Verein «LobbyControl». Ein wichtiges Ziel ist aber auch der Zugang der Bürger zu Informationen, die in Staatsbehörden über sie vorliegen. Der «Freedom of Information Act» der USA war 1967 ein Vorreiter gesetzlicher Regelungen; in manchen europäischen Staaten hat die Informationsfreiheit Verfassungsrang erhalten; Deutschland dagegen war mit dem «Informationsfreiheitsgesetz» von 2006 ein Nachzügler. Ein zweiter Aspekt wird meistens mit dem englischen Begriff «accountability» bezeichnet. Damit ist die Verantwortlichkeit des Staates, seiner Organe und Verwaltungsbehörden gegenüber den Bürgern gemeint. Die Erwartungen an die Rechenschaftspflicht sind gegenüber dem klassischen Demokratiemodell beträchtlich gewachsen, in dem sich die drei Gewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – im Sinne der «checks and balances» gegenseitig

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