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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Mittelklasse, die diese Kluft überbrückt. Überhaupt wird Ungleichheit wohl weniger scharf empfunden, wenn eine kontinuierliche Stufenleiter sozialer Positionen Aufstieg und Anschluss ermöglicht. Ist der Graben unüberbrückbar, droht Frustration und der Rückzug aus der Demokratie.
    Dennoch: Das Streben nach sozialer Gleichheit gehört untrennbar zur Geschichte – und Gegenwart – der Demokratie. Der Entwurf eines Lebens in brüderlicher (oder schwesterlicher) Gemeinschaft, im weitgehenden Verzicht auf den Besitz von weltlichen Gütern, also in Gleichheit des Verzichts oder der Askese findet sich in vielen Weltreligionen, besonders im Christentum. Von hier aus hat sich eine religiös-utopischeFärbung in viele neuzeitliche Egalitarismen übersetzt, nicht zuletzt in den Kommunismus. Ihre Geschichte beginnt mit der Reformation und mit den radikalen Strömungen in den Revolutionen seit dem 17. Jahrhundert. In der Englischen Revolution versuchten Minderheiten der Puritaner, die «Levellers» (also: die «Gleichmacher») und die «Diggers», solche religiös inspirierten Visionen politisch und lebenspraktisch umzusetzen. In der Dynamik der Französischen Revolution rückte das Gleichheitsideal mit den Sansculotten und Jakobinern nach vorn und erreichte in der «Verschwörung der Gleichen» Babeufs 1796 einen letzten Höhepunkt. Im 19. Jahrhundert flackerte es immer wieder in radikalem Protest von Handwerkern und Bauern auf. Vor allem aber übernahmen die verschiedenen Strömungen des Sozialismus das Leitmotiv sozialer Gleichheit als Voraussetzung einer wahrhaft demokratischen Gesellschaft.
    Seitdem zieht sich eine tiefe Ambivalenz durch die Geschichte des radikalen Egalitarismus: Ohne ihn wären demokratische Fortschritte oft begrenzter geblieben oder in elitär-liberaler Genügsamkeit erstarrt. Aber zugleich geriet die Gleichheit in einen prinzipiellen Konflikt mit Freiheit und Individualismus. Am Anfang des 20. Jahrhunderts verknüpfte sich die utopische Gleichheitssehnsucht mit den neuen Möglichkeiten des «social engineering» und der staatlichen Formung ganzer Gesellschaften, notfalls auch mit Mitteln der Gewalt, die der höhere Zweck der Gleichheit heiligen sollte. Dabei blieb auch das Ideal selber auf der Strecke – diese Erfahrung des Totalitarismus brachte der britische Schriftsteller und Sozialist George Orwell in seiner Parabel von der «Animal Farm» auf den Punkt: Alle sind gleich, aber einige sind gleicher als die anderen. Die brutalen Gleichheitsexperimente der Chinesischen Kulturrevolution und im Kambodscha der Roten Khmer seit 1975 standen da noch bevor. Deshalb zieht sich auch ein Faden der Gleichheitsskepsis durch die Geschichte der Demokratie. Er beginnt in der antiken Furcht vor der in Chaos und Pöbelherrschaft endenden «reinen» Herrschaft des Volkes. Auf solche Denkmuster griff noch Montesquieu zurück, als er in seinem «Geist der Gesetze» warnte: «Das Prinzip der Demokratie entartet nicht allein, wenn der Geist der Gleichheit abhanden kommt, sondern auch wenn der Geist übertriebener Gleichheit einreißt.» Nach 1945 grenzte sich, zumal in der Bundesrepublik, ein liberaler Realismus von den nationalsozialistisch und kommunistisch pervertierten Gleichheitsutopien ab. In seiner einflussreichen Tübinger Antrittsvorlesung von 1961 begründete Ralf Dahrendorfsoziologisch, warum es eine Gesellschaft völlig Gleicher niemals geben könne, und warnte vor falschen Versprechungen, «hinter denen gewöhnlich der Terror und die Unfreiheit lauern».
    Das konfrontative Moment – mit den gegenseitigen Vorwürfen der bürgerlichen Scheinfreiheit hier, des totalitären Gleichheitsterrors dort – ist seit den 1970er Jahren zunehmend aus den Debatten gewichen. Der radikal-utopische Egalitarismus hatte sich am Ende der «Hochmoderne», die alles Denkbare für machbar hielt, historisch erledigt. Im «sozialdemokratischen Zeitalter» (Dahrendorf) regierte eine pragmatische Politik der Armutsbekämpfung und moderaten Umverteilung die westlichen Länder. Und in der zuständigen Wissenschaft, der Sozialphilosophie, begann das Konzept der Gerechtigkeit seinen Aufstieg. Das war zuerst das Verdienst des Amerikaners John Rawls, der in seiner «Theorie der Gerechtigkeit» von 1971 Grundprinzipien einer «fairen» Gesellschaft formulierte. Seitdem

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