Was ist Demokratie
Grundlage ihres Lebens und ihres beruflichen Erfolges machen konnten: die Mittelklassen. Schon in der griechischen Antike hat man in einer starken gesellschaftlichen Mitte die beste Garantie für politische Stabilität gesehen. Diejenigen, die weder reich noch arm waren, galten auch damals schon als vorzügliche Träger einer demokratischen Regierungsform. Seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ist dieses Ideal in vielen westlichen Gesellschaften so sehr zur Realität geworden, dass man vor den Grenzen einer Mittelschichtdemokratie schon wieder warnen muss.
So hat sich die Spannungslinie der Ungleichheit verschoben, ohne verschwunden zu sein. An die Stelle des sozialegalitären Ideals ist das Problem von Teilhabe und Autonomie getreten: Es geht um die faire Einbeziehung in die (materiellen, kulturellen und politischen) Chancen, und um die Fähigkeit von Individuen, ihr eigenes Leben steuern zu können statt von auÃen oder von anderen gesteuert zu werden. Ein englisches Modewort dafür, das dennoch den Kern der Sache ganz gut trifft, ist «empowerment». Denn das Gefühl, selber etwas zu sagen zu haben, hat viel mit Demokratie zu tun. Es ist Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit der politischen Institutionen, von Parlament und Regierung, in der klassischen Demokratie. Es befähigt zum eigenen Handeln, zu politischem Protest und Engagement in der neuen, zivilgesellschaftlichen Demokratie. Und es strahlt auf die gesamte Lebenswelt aus, auf alle Alltagsbereiche, in denen Demokratie als Lebensform gestaltet werden kann.
3 Demokratische Gewalt, demokratischer Frieden
Wenn demokratische Regierung als Fortschritt gegenüber früheren, autoritären oder despotischen Regierungsformen verstanden wird, ist eine andere Zukunftserwartung davon nicht weit entfernt: die eines friedlichen Zusammenlebens in Abwesenheit von Krieg und von innerer Gewalt. «Frieden und Freiheit» klingen häufig zusammen, als politische Parole ebenso wie im Namen zahlreicher Organisationen und Verbände. Wie das Fortschrittsdenken ist auch die Verbindung von Demokratie und Gewaltlosigkeit in der Aufklärung verankert. Thomas Paine blickte 1776 verächtlich auf Europa herab, das «zu dicht mit Monarchien übersät ist um lange friedlich zu bleiben», und gab deshalbfür Amerika Republiken den Vorzug. In Deutschland dachte Immanuel Kant 1795, also nach der Französischen Revolution, über die Möglichkeit eines «ewigen Friedens» nach. Er forderte, das Völkerrecht auf einen «Föderalismus freier Staaten» zu gründen und damit die friedliche innere Verfassung auch auf die zwischenstaatlichen Beziehungen zu übertragen. Im Innern galt erst recht: Ein Volk, das sich selber eine oberste gesetzgebende, regierende und richtende Gewalt gibt, um Streitigkeiten friedlich auszugleichen, das muss Konflikte nicht im Bürgerkrieg oder anderen Formen gesellschaftlicher Gewalt austragen. Der Optimismus Kants und anderer Aufklärer war nicht selbstverständlich, denn lange Zeit galt die Annahme, gerade Demokratien seien besonders anfällig für innere Unruhen und Bürgerkriege â so argumentierte, der antiken Tradition folgend, noch Rousseau in seinem «Contrat Social» von 1762. Spätestens im 20. Jahrhundert bröckelte der aufklärerische Optimismus aber wieder. Die Herrschaft des Volkes musste nicht unbedingt in friedliche Selbstbescheidung führen. So attestierte Robert Michels im Jahre 1928 der Demokratie «sogar einen besonders stark ausgeprägten Zug zum Expansionismus».
Jedenfalls konnte die Begeisterung für die Freiheit auch in ein Pathos des Sterbens, des Sich-Opferns, des eigenen Todes führen. Dieses Gefühl überwältigte nicht selten die Revolutionäre des späten 18. Jahrhunderts. Berühmt ist der Ausspruch von Patrick Henry im Parlament von Virginia, als es um die Unabhängigkeit von England ging: «Gebt mir Freiheit, oder gebt mir den Tod!» Auch auf den StraÃen von Paris lautete die Alternative 1793: «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit â oder der Tod». Der amerikanische Bundesstaat New Hampshire wählte in diesem Geiste «Live free or die» als offizielles Motto, das sich auf allen Autokennzeichen findet. Weniger bekannt ist, dass auch das Staatsmotto Griechenlands «Freiheit oder Tod» lautet und damit eine Parole des Unabhängigkeitskampfes gegen die
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