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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Türken in den 1820er Jahren aufgreift. Gemeint war damit nicht nur die Unerträglichkeit des unfreien Lebens, dem sogar der Tod vorzuziehen sei, sondern auch die Bereitschaft zur eigenen Bewaffnung, zum Kampf für Freiheit und Demokratie. Als die Vereinigten Staaten 1940 die Rüstungsproduktion hochfuhren und sich auf den Eintritt in den Zweiten Weltkrieg vorbereiteten, forderte Präsident Roosevelt sein Volk am Radio auf, «das große Waffenlager der Demokratie» zu werden. In der Zeit des Kalten Krieges lautete eine ironische Umkehrung, man wolle «lieber rot als tot» sein.
    Sind Demokratien also besonders friedlich oder besonders gewaltbereit im Namen der Freiheit? Man muss dabei immer zwischen einer normativen und einer empirischen Ebene trennen: Wie sollten Demokratien nach Möglichkeit sein, wie entwerfen sie sich selber? Und wie sieht es damit in der Wirklichkeit aus? Außerdem muss man zwischen verschiedenen Formen der Gewalt unterscheiden, zum Beispiel zwischen dem klassischen (Staaten-)Krieg, dem Völkermord als staatlich autorisierter Tötung ethnischer Minderheiten, und der inneren Gewalt oder Friedfertigkeit in demokratischen Gesellschaften.
    Im Rückgriff auf Kant hat sich die Politikwissenschaft in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit der Frage beschäftigt, ob demokratische Staaten tatsächlich seltener Krieg führen als Monarchien, Diktaturen oder autoritäre Regime. Dass demokratische Staaten keinem Radikalpazifismus huldigen und schon deshalb Krieg führen, weil sie von Diktaturen angegriffen werden oder anderen Demokratien militärischen Beistand leisten wollen, ist offensichtlich – das ist die Konstellation des Zweiten Weltkriegs, in der Roosevelt sprach. Großbritannien begab sich noch 1982 in einen klassischen Krieg gegen das damals von einer Militärjunta regierte Argentinien um die südatlantischen Falklandinseln. Typischer war nach 1945 das militärische Engagement von Demokratien wie Frankreich, Portugal oder den Niederlanden, die zugleich Kolonialmächte in Afrika und Asien geblieben waren, gegen Unabhängigkeitsbewegungen. Der französische Krieg in Indochina und der Algerienkrieg sind wichtige Beispiele für «demokratische Kriege» dieses Typs. Während des Kalten Krieges war der Übergang zu den «Stellvertreterkriegen» fließend, in denen sich die Supermächte nicht direkt begegneten, sondern auf drittem Terrain um Einflussbereiche kämpften. In Korea oder Vietnam wurden diese Kriege vom Westen, besonders von den USA, zugleich als Selbstbehauptungskampf der «freien Welt» gegen den Kommunismus geführt. Nach 1990, und besonders nach den Anschlägen vom 11. September 2001, konnte das auch ein «Krieg gegen den Terror» sein. Das Repertoire demokratischer Kriege, an denen sich auch Deutschland beteiligte, erweiterte sich um humanitäre oder stabilisierende Interventionen gegen Terror und Völkermord, wie im ehemaligen Jugoslawien oder in Afghanistan. Die Grenzen zwischen Staatenkrieg und internationalisiertem Bürgerkrieg, zwischen der Bekämpfung von Terror und dem Schutz von Zivilbevölkerung sind dabei fließend geworden – und die europäischen Demokratien gewaltbereiter.
    Ebenso faszinierend wie umstritten ist in dieser Debatte die pointierte These, zwei oder mehr Demokratien hätten überhaupt noch nie gegeneinander Krieg geführt. Dann müsste eine vollständig demokratisierte Welt der Zukunft auch eine vollkommen friedliche, jedenfalls kriegsfreie Welt sein. Das wäre ein starkes, zusätzliches Argument für eine universelle Verbreitung der Demokratie. Tatsächlich lassen sich nur schwer Gegenbeispiele nennen; meistens handelt es sich dann um Grenzfälle wie den Kargil-Krieg von 1999, eine kriegerische Episode im Kaschmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan – aber war Pakistan damals noch eine Demokratie oder schon eine Militärdiktatur? Viel hängt also von der Definition des Begriffes ab. Auch werden ganz unterschiedliche Gründe für die Friedfertigkeit von Demokratien im Umgang miteinander angeführt. Sie reichen von einer politischen Kultur des Kompromisses und Diskurses, die auch nach außen angewendet und dem Krieg vorgezogen wird, über die Verantwortlichkeit gegenüber den Wählern, die einen Krieg nicht honorieren würden, bis zu ökonomischen Merkmalen wie dem Marktprinzip und der engen

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