Was ist Demokratie
Verflechtung im Handel, die gröÃere Vorteile als eine kriegerische Auseinandersetzung um Ressourcen bietet.
Eine Art Naturgesetz kann man aus der Theorie des demokratischen Friedens nicht gewinnen. Historisch stöÃt ihre Ãberprüfung an Grenzen, weil es erst seit einem Jahrhundert überhaupt eine nennenswerte Zahl von Demokratien gibt. Die Zeit der Weltkriege, des «Zweiten DreiÃigjährigen Krieges» von 1914 bis 1945 bildet eine Sonderkonstellation; die scharfe Konfrontation von westlicher Demokratie und totalitärer Diktatur in dieser Phase ist Vergangenheit. Zudem muss man die Perspektive umkehren und fragen, ob alle Nichtdemokratien expansiv und kriegerisch sind â das ist nämlich nicht der Fall, und das wichtigste Beispiel der letzten Jahrzehnte ist die Volksrepublik China. Aber auch ohne den Anspruch allgemeiner Gültigkeit ist das Europa der Nachkriegszeit, erst recht seit 1989, ein Beleg für den engen Zusammenhang von Demokratie, Völkerverständigung und Friedenswahrung. Ein Krieg zwischen Deutschland und Frankreich, oder zwischen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ist so gut wie ausgeschlossen. Man kann darüber streiten, ob das eher â wie «Realisten» sagen würden â mit effektiven Bündnissystemen zu tun hat, oder â im Sinne der «Idealisten» â auch mit dem Wesen der Demokratie.
Nach Zweitem Weltkrieg und Holocaust hat der Schock der Gewalt den Westdeutschen den Ãbergang in die Demokratie erleichtert. Umgekehrtsind die historischen Ursprünge von Demokratien nicht selten mit Kriegen, jedenfalls mit bewaffneten Konflikten verknüpft: schon deshalb, weil Revolution und Krieg immer wieder Geschwister waren â die Amerikanische, die Französische und auch die Russische Revolution sind die prominentesten Beispiele. Aus ihrer kämpferischen Selbstbehauptung gegen das Ancien Régime eignet deshalb jungen Demokratien manchmal ein aggressiver, vielleicht sogar bellizistischer Zug. Das hat besonders die Geschichte der USA tief geprägt, in der zugleich eine europäische Siedlergesellschaft auf die früheren Bewohner des Kontinents, die Indianervölker, traf. Nachdem die meisten der nordamerikanischen Indianer vor jedem physischen Kontakt mit den Siedlern deren Krankheitskeimen zum Opfer gefallen waren, wurden die Ãbrigen mit allen denkbaren Mitteln, auch der Gewalt, nach Westen abgedrängt. Nicht zufällig fällt die brutalste Vertreibungskampagne, aus indianischer Sicht als «Pfad der Tränen» bekannt, in die Regierungszeit des Präsidenten Andrew Jackson Anfang der 1830er Jahre, in der zugleich die weiÃe Männerdemokratie dynamisch prosperierte. Völker wie die Cherokee, an der südlichen Atlantikküste beheimatet, mussten in Reservate weit im Westen, im heutigen Staat Oklahoma, umsiedeln; viele überlebten die brutalen Zwangsmärsche nicht. Nach dem Bürgerkrieg verlagerte sich der ungleiche Konflikt in den Nordwesten und fand am 29. Dezember 1890 einen blutigen Abschluss, als die US-Armee im Massaker von «Wounded Knee» mindestens 150 Sioux-Indianer â Männer, Frauen und Kinder â niedermachte.
Die Verdrängung und nahezu vollständige Ausrottung der nordamerikanischen Indianer, lange Zeit in Wild-West-Romantik verbrämt, erscheint heute immer deutlicher als ein Völkermord, auch wenn dieser Genozid auf Raten und über Jahrhunderte sich vom Holocaust scharf unterscheidet. Ãhnliches gilt für die Verfolgung und Verdrängung der Aborigines in der australischen Siedlergesellschaft. Sind also auch Demokratien zu extremer und massenhafter Tötungsgewalt, zu Völkermord in der Lage? Der amerikanische Soziologe Michael Mann hat sogar die These vertreten, Demokratie und Genozid seien besonders eng verbunden; die Bereitschaft zur ethnischen Säuberung markiert für ihn die «dunkle Seite der Demokratie». Siedlerdemokratien wie die amerikanische gingen oft mörderischer gegen die indigene Bevölkerung vor, als es vorherige Kolonialregime getan hätten. Und nicht zufällig hätten sich ethnische Säuberungen, also genozidale Mordaktionen, erst im Zeitalter der Demokratie weit verbreitet. Denn das Prinzip desVolkes, des «demos», war anfällig für die Umdeutung in die Vision eines ethnisch-rassisch homogenen «ethnos», aus dem die fremden, die nicht zugehörigen Teile eliminiert werden
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