Was ist Demokratie
Polen, Tschechien und Estland sich kaum prinzipiell, sondern eher graduell und in Indexwerten von China oder gar von Nordkorea (auf dem drittletzten Platz) unterscheiden. Warum werden dann nicht auch demokratische Defizite und Fortschritte in Belgien â ein «failing state» in Europa â, in Deutschland oder den USA bewertet? Darin drückt sich eine unterschwellige Arroganz der westlich-konsolidierten Demokratien aus, aber auch eine grundlegende Schwäche der allzu breiten Kategorien von «Transformation» und «defekter Demokratie».
Dennoch â gegenüber den Verhältnissen im 20. Jahrhundert hat sich tatsächlich etwas verändert. Die scharfe Entgegensetzung von liberalen Demokratien und totalitären Diktaturen, mit dem Höhepunkt in der Zeit des «Dritten Reiches» und des Stalinismus, hat sich abgeschliffen. Es gibt kaum noch Regime, die sich wie damals ausdrücklich als Gegenentwurfzur liberalen Demokratie verstehen. Halbfreie Präsidentschaftswahlen fanden im Juni 2009 sogar im Iran statt. Und der negative Kontrast zur Demokratie ist nicht mehr allein der übermächtige Staat, der Leviathan des Totalitarismus, sondern ganz im Gegenteil der Zerfall von Staatlichkeit überhaupt, und damit das Fehlen effektiver Strukturen elementarer Sorge für die Ernährung und Gesundheit der eigenen Bevölkerung. Vielerlei Ãbergangs- und Mischformen der politischen Ordnung haben sich etabliert. Die Unterscheidung liberaler Demokratien von anderen Regimen, seien sie defekt-demokratisch oder halb-autoritär, ist damit aber weder sinnlos noch unmöglich. Der Protest gegen autoritäre Herrschaft, für freie Wahlen, für Bürgerrechte oder Meinungsfreiheit ist auch noch am Anfang des 21. Jahrhunderts ein praktischer Prüfstein dafür.
6 Kampf der Kulturen?
Islam und Demokratie
Der Fall des Kommunismus und die schnelle Demokratisierung Ostmitteleuropas schienen die liberale Demokratie des Westens für einen Moment zu ihrem endgültigen Triumph geführt zu haben. Sogar vom «Ende der Geschichte» (Francis Fukuyama) war am Anfang der 1990er Jahre die Rede, weil sich der politisch-ideologische Grundkonflikt des 20. Jahrhunderts weithin erledigt hatte und eine stabile Vorherrschaft der einzig verbliebenen Supermacht, eine weltweite Pax Americana, die Zukunft bestimmen würde. Doch wenig später machte das Schlagwort vom «Kampf der Kulturen» Furore, mit dem der amerikanische Politologe Samuel P. Huntington tiefe Gesellschafts- und Wertekonflikte zwischen globalen Regionen beschrieb. Er sah die westlich-europäische Zivilisation damit mindestens so ernst herausgefordert wie durch den sowjetischen Kommunismus, der selber dem Denken und den sozialen Verwerfungen Europas entsprungen war.
Mit seiner These von den immer neuen «Wellen» der Demokratisierung im 20.Jahrhundert gehörte Huntington eigentlich zu den Optimisten einer weltweiten Ausbreitung freier Regierungssysteme. Was jetzt seine tiefe Skepsis nährte, prägte die öffentlichen Debatten und die Weltpolitik am Beginn des 21. Jahrhunderts wie kaum etwas sonst: die Entwicklung des Islam, vor allem im arabischen Raum, zu einer politischen Kraft in entschiedener Gegnerschaft zu den USA, ihren Verbündetenund zur liberalen, kommerziellen und säkularen Lebensform der westlichen Gesellschaften überhaupt. So jedenfalls wurde es weithin wahrgenommen: Im «Clash of Civilizations» musste sich der Westen einem mit allen, auch gewaltsamen und terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen sein politisches und kulturelles Ordnungsmodell stellen, einem «Jihad» des islamischen Fundamentalismus.
Die von Al-Qaida organisierten Terroranschläge vom 11. September 2001 waren das Fanal dieser Bedrohung und führten die USA in zwei Kriege im Mittleren Osten, um in Afghanistan das Regime der radikalislamistischen Taliban zu stürzen und im Irak die vollkommen anders geartete Diktatur Saddam Husseins zu beseitigen. Zwar betonte der amerikanische Präsident George W. Bush immer wieder, dass der Gegner im «Krieg gegen den Terror» nicht der Islam sei, schon gar nicht die Muslime. Doch in der Wahrnehmung des Westens ebenso wie der islamischen Welt setzte sich oft der Eindruck eines ideologischen Kampfes zwischen «dem» Westen und «dem» Islam fest. Offenbar war die Geschichte des 20. Jahrhunderts doch noch nicht zu Ende. Denn
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