Was ist Demokratie
Parlamentarismus durchaus tragfähig, auch wenn sich das Prinzip eines echten Parteienpluralismus damit nicht unmittelbar verbindet. Insofern würden islamische Demokratien der Zukunft vermutlich eher dem westlichen Typus der Konsensdemokratie (oder «Konkordanzdemokratie») entsprechen, in der nicht die Zuspitzung von Konflikten und die Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip im Vordergrund stehen â das «Westminster-Modell» â, sondern das Zusammenwirken aller Beteiligten (z.B. der Parlamentsfraktionen) an einer gemeinsam akzeptierten Entscheidung. Insgesamt, so stellt die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer fest, sind die politischen Konzepte und Regierungsvorstellungen des politischen Islam durchausanschlussfähig an die internationalen Regeln der «guten Regierungsführung», der «good governance», etwa im Hinblick auf Rechtsbindung, Kontrolle und Rechenschaftspflicht. «Good governance» ist nicht gleichbedeutend mit Demokratie, kann aber eine Stufe auf dem Weg dorthin bilden.
Der politische Islam im arabischen Raum oder der schiitische Gottesstaat im Iran sollten auÃerdem nicht den Blick für die politische Existenz von Muslimen anderswo auf der Welt verstellen. In nicht-arabischen Staaten von der Türkei bis nach Indonesien und Malaysia ist die Demokratisierung in den letzten zwei Jahrzehnten vorangekommen, und moderat-islamische Parteien waren maÃgebliche Triebkräfte dieser Entwicklung. Man hat deshalb von einer islamischen Demokratie gesprochen und sie mit der europäischen Christdemokratie und ihrer Rolle im 20. Jahrhundert verglichen. Ein solcher Vergleich ist schwierig, erinnert aber daran, dass auch in der europäischen Geschichte das Christentum für die Demokratie «domestiziert» werden musste. In groÃen westeuropäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich und GroÃbritannien machen Muslime inzwischen drei bis fünf Prozent der Bevölkerung aus. Zumal in Deutschland sind viele als Zuwanderer und deren Kinder (noch) keine Staatsbürger, und darin liegt eher die Herausforderung als in einer â befürchteten, aber nicht begründeten â Distanz der Muslime zur demokratischen Verfassung. Wo muslimische Zuwanderer zu Staat und Demokratie auf Distanz gehen, liegt das weniger an ihrer Religion als an ihrer sozialen Marginalität.
Seit 1979, erst recht seit 2001 haben sich «Westen» und «Islam» wechselseitig in einen Kampf der Kulturen verbissen. Dabei haben Ãngste und Abgrenzungen auf beiden Seiten zugenommen, während gleichzeitig Lernprozesse und Veränderungen in Gang gekommen sind: sowohl in den westlichen Gesellschaften, was die Akzeptanz des Islam und das Wissen über ihn betrifft, als auch in islamischen Ländern, die sich langsam der Demokratie geöffnet haben â oder auch spontan und sehr vehement, wie in den arabischen Aufständen von 2011. Ãberhaupt spricht viel dafür, dass Elemente der zivilgesellschaftlichen Demokratie, einschlieÃlich des Internets, in den islamischen Ländern rasch an Boden gewinnen â Formen der Demokratie also, die auch der Westen in den letzten Jahrzehnten erst mühsam lernen musste. So bietet die globale Entgrenzung der Demokratie auch Muslimen die Chance, sie nicht mehr als etwas Westliches und Fremdes auffassen zu müssen.
7 Westlicher Sonderweg oder Weltdemokratie
Ist Demokratie eine Erfindung des Westens, die dessen Gesellschaft und Kultur in eine angemessene politische Form bringt, aber in anderen Kulturen, in anderen Regionen der Welt ein Fremdkörper bleibt? Oder ist Demokratie ein Ausdruck universeller Werte, vielleicht sogar selber ein fundamentaler Wert von zeitloser und kulturübergreifender Allgemeingültigkeit, so dass man zugleich ihren globalen Siegeszug erwarten kann, bis hin zum Fernziel einer demokratischen Weltordnung oder sogar gemeinsamen Weltregierung? Diese Frage hat seit dem späten 20. Jahrhundert nicht nur die Wissenschaft umgetrieben â Theoretiker der Demokratie ebenso wie empirische Forscher â, sondern auch vehemente politische Kontroversen entzündet. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der chinesischen Proteste auf dem Tiananmen-Platz im Juni 1989 ist die Erwartung zumindest abgebremst, die rasante technisch-wirtschaftliche Entwicklung der Volksrepublik würde politische Freiheit, Bürgerrechte und Pluralismus begünstigen oder sogar unvermeidlich machen.
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