Was ist Demokratie
Regime in der Region gestützt; das Interesse an Stabilität und Profit stand vor dem an Freiheit. Die Islamische Revolution im Iran brachte 1979 die autoritäre, aber westorientierte Monarchie des Schahs zu Fall. Die vielfältigen Strömungen dieser Revolution lassen sich nicht auf die radikale und konservative Linie reduzieren, die sich vom Ayatollah Khomeini bis zum heutigen Präsidenten Ahmadinedschad durchsetzte; auch erhebliche Teile der liberalen und gebildeten Mittelklassen, Basarhändler und Akademiker, standen hinter dem Sturz der Pahlewi-Dynastie. Seitdem stand die Westorientierung islamischer Staaten immer wieder in einem Spannungsverhältnis zur Demokratisierung, mindestens zur populären Mobilisierung. Oder anders herum: Demokratisierung und politischer Islam schlossen sich nicht von vornherein aus, wie nicht zuletzt das Beispiel der Türkei unter der Führung Recep ErdoÄans und seiner moderat-islamischen AKP zeigt.
Aber es gibt auch Spannungen zwischen dem Islam als Religion und der Demokratie als freier Regierungs- und Lebensform. Genauer muss man von bestimmten Ausprägungen und Richtungen im Islam sprechen, um seiner historischen Wandlungsfähigkeit und inneren Vielfalt â auch angesichts des Fehlens organisierter (Mitglieds-)Kirchen â gerecht zu werden. Im politischen Islam oder Islamismus, der in der arabischen Welt seit der Iranischen Revolution Zulauf gewonnen hat, wird der Anspruch des Islam als einer öffentlichen Religion, auch Welt und Lebensführung der Gläubigen zu bestimmen, auf die politische Herrschaft ausgedehnt. Damit ist der Islam «Religion und Staat»; die Staatsordnung muss eine islamische sein und sich damit an einer möglichst wortgetreuen Auslegung des Koran und der Sunna, der prophetischen Worte Mohammeds, orientieren. In diesem Konzept sind einer Säkularisierung nach westlichem bzw. christlichem Muster sehr enge Grenzen gesetzt. Weil der Islam eine Gesetzes- und Rechtsreligion ist, steht die Scharia im Zentrum von Staatsvorstellungen des Islamismus. Insofern könnte man den islamischen Staat geradezu als Rechtsstaat bezeichnen, wenn Rechtsstaat in der westlichen Tradition nicht mehr und anderes hieÃe als ein Staat, in dem eine Rechtsordnung den berechenbaren Rahmen staatlicher Herrschaft und der Stellung des Einzelnen zu ihr definiert.
So ist der westliche Rechtsstaat eng mit der Idee der Grund- und Menschenrechte verknüpft, deren individualistische Ausprägung einemtraditionell aufgefassten Islam ohnehin fremd ist. (Das galt und gilt aber, in unterschiedlichen Graden, immer wieder überall auf der Welt â im konfuzianisch geprägten Ostasien ebenso wie in europäischen Denkströmungen, nicht zuletzt im Marxismus-Leninismus.) Eine Gleichberechtigung der Frau ist im konservativen politischen Islam nicht vorstellbar, erst recht nicht ihre faktische und alltägliche «Gleichstellung». Man kann dazu immer zwei Positionen einnehmen: Nach einer prinzipiellen muss jede Verletzung individueller Grundrechte angeklagt werden, erst recht wenn sie mit manifester Unterdrückung und physischer Gewalt einhergeht. In einer historischen Perspektive würde man auf die relative Neuheit von «Gleichberechtigung» und «Gleichstellung» auch im Westen hinweisen und auf die Entwicklungsfähigkeit anderer Gesellschaften vertrauen. Die Frage der Religionsfreiheit wirft ein ähnliches Dilemma auf, denn der politische Islam kennt kein Recht (der Muslime) zum Religionswechsel und tut sich auch mit der Trennung zwischen religiöser Gemeinschaft und Staatsbürgerschaft schwer. Können also alle Bürger des Staates das demokratische Volk bilden, oder nur die Muslime?
Ein Stück näher an westlichen Begriffen von Demokratie liegen möglicherweise islamische Vorstellungen von Verfassung und Partizipation. Auch die islamische Republik Iran hat sich eine Verfassung gegeben â und praktiziert regelmäÃige, halbfreie Wahlen, so dass man aus der Perspektive der Transformationsforschung beinahe von einer sehr stark defekten Demokratie sprechen könnte. Beschlüsse nach gemeinsamer Beratung zu fassen entspricht einer langen und ausgeprägten Tradition des Nahen und Mittleren Ostens und auch des politischen Islam. Man sollte daraus keinen Vorsprung in der welthistorischen Erfindung der Demokratie ableiten, aber in der Gegenwart ist die Brücke von der «Schura» in eine Praxis des
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