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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Prosperität und kulturelle Modernität sind auch mit anderen politischen Ordnungen vereinbar, die ohnehin – wie auch die chinesische Führung selber immer wieder hervorhebt – den Traditionen und kulturellen Werten des Landes besser entsprechen als die «westliche» Demokratie. Noch schärfere Konflikte sind über die Ziele der westlichen Länder, der USA und ihrer Verbündeten, im Mittleren Osten entbrannt, vor allem im Irak und in Afghanistan. Selbst wenn man den Sturz von Diktatoren wie Saddam Hussein oder von terroristischen Regimen wie dem der Taliban für legitim hält, muss man vom Aufbau einer liberal-parlamentarischen Demokratie noch nicht überzeugt sein. Vielleicht lässt sich Demokratie dorthin nicht «exportieren», weil sie in einer ganz anderen Kultur keine Wurzeln schlagen kann, so dass man nur, bescheidener, für politische Stabilität und die Bändigung von Gewalt eintreten kann.
    In einer historischen Betrachtung ist schwer bestreitbar, dass moderne Demokratie im Westen entstanden ist und sich von dort aus in anderen Regionen der Welt ausbreitet, besonders seit der Mitte des 20. Jahrhunderts. Doch das bedeutet nicht, dass Freiheit und Demokratie von jeher, jedenfalls seit der klassischen Antike, gleichsam zur genetischen Ausstattung der westlichen Kultur gehörten. Vielmehr sind sie auch hier in langwierigen Konflikten erst mühsam erkämpft worden, überwiegenderst vor gut hundert Jahren, teilweise noch später. Fast alle kulturellen Eigenarten anderer Regionen, die in letzter Zeit häufig als Indiz ihrer demokratischen Inkompatibilität angeführt werden, haben auch in Europa eine lange Geschichte und sind erst in jüngerer Zeit überwunden oder demokratisch gebändigt worden: autoritäre Traditionen der politischen Herrschaft, eher kollektivistische als individualistische Muster des sozialen Denkens, und sozialökonomische Strukturen, die auf persönlicher Abhängigkeit, familiärer Bindung und Klientelverhältnissen beruhten. Ein gutes Beispiel dafür ist Deutschland, in dem autoritäre Politik und konformistische Gesellschaft der Demokratisierung nicht nur bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts (und in der DDR bis 1989) entgegenstanden, sondern auch vielfach als besondere kulturelle Eigenart stilisiert worden sind. Mit ihr unterscheide sich, so hieß es lange, Deutschland prinzipiell vom Westen und seinem demokratischen Individualismus; die Demokratie passe nicht zur deutschen Geschichte und Kultur. Kulturen sind vielfältig und wandelbar; und nicht jeder kulturelle Wandel ist als Zerstörung des Überlieferten zu beklagen.
    Gerade die weltweite Ausbreitung der Demokratie seit 1945 – einschließlich der Demokratisierung Europas! – hat jedoch zu neuem Nachdenken über die normative Seite der Frage geführt: Wenn sich Demokratie global verbreitet, ist das dann gut so, und sollte dieser Prozess möglichst weitergehen und aktiv befördert werden? Mit welchem Recht erheben westliche Politiker und Intellektuelle ihr Modell der Organisation von Politik und Gesellschaft zum Normalfall, gegenüber dem eine Abweichung sich als ein Defizit zu rechtfertigen hat? Dabei haben die politischen Lager in den letzten drei Jahrzehnten ihre Positionen getauscht. Bis dahin vertrat, in einer Tradition aus dem 19. Jahrhundert, die Linke einen universalistischen Standpunkt. Gegen die konservativ-autoritären Regime der Nationalstaaten und ihre Monarchien sollten Fortschritt, Freiheit, Demokratie grenzenlos sein – im programmatischen «Internationalismus» der Arbeiterbewegung fand das einen prägnanten Ausdruck. Liberale oder Konservative dagegen dachten kaum in den Kategorien einer universellen Geltung von Rechten und Verfassungen. Rassismus und Kolonialismus hatten erst recht den Abstand der fremden zur eigenen Kultur betont und die kolonialen Subjekte für politisch unmündig, für unfähig zu Freiheit und Selbstregierung gehalten. Seit der «kulturalistischen Wende» in den Geistes- und Sozialwissenschaften jedoch findet sich die universalismusskeptischePosition fast nur noch auf der (radikalen) Linken und ist insgesamt in der Minderheit. Die moderate Linke dagegen – einschließlich so prominenter Denker wie Jürgen Habermas, Richard Rorty und Amartya Sen – verteidigt gemeinsam mit Liberalen die Allgemeingültigkeit demokratischer Prinzipien auch

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