Was ist Demokratie
und japanischen Demokratie nach 1945 unter amerikanischer Führung und nach amerikanischem Muster angeführt. Das ist einerseits nicht ganz falsch â und gerade der Fall der Bundesrepublik zeigt, dass dies sogar mit einer Wertschätzung für den «Importeur» verbunden sein kann, die seine reale Rolle übertrifft. Auch in der amerikanischen Politik und Ãffentlichkeit prägt diese Erfahrung der Nachkriegszeit bis heute die Sicht auf Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten mit. Andererseits sind die Amerikaner im besiegten Deutschland AnstoÃgeber und Katalysator gewesen, der demokratisches Potential in der nachdiktatorischen Gesellschaft identifiziertund mobilisiert hat. Statt vom Export sollte man deshalb besser von Demokratieförderung sprechen (englisch: «democracy promotion»). Innerhalb Europas haben Spanien, Portugal und Griechenland in den 1970er Jahren von solcher Förderung, auch aus der Bundesrepublik, bei der Ãberwindung ihrer Diktaturen und der Stabilisierung der Demokratie profitiert. Auch heute noch ist es eine zentrale Aufgabe der politischen Stiftungen â etwa der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stifung â, durch ihre Arbeit im Ausland demokratische Potentiale weltweit zu ermutigen und zu stärken. Demokratieexport trifft diesen Sachverhalt auch deshalb nicht, weil es sich nicht um einen Transfer auf Regierungsebene, sondern eher um das Zusammenwirken zivilgesellschaftlicher Akteure handelt.
Deshalb lässt sich die Ãbernahme demokratischer Institutionen und Praktiken auÃerhalb des europäisch-amerikanischen Westens besser als ein komplizierter Ãbersetzungsprozess charakterisieren, in dessen Verlauf fremde Konzepte oft sehr selektiv aufgegriffen und an die lokale Kultur angepasst werden. Ãbersetzung ist dabei auch wörtlich zu verstehen, denn in nichtwestliche Sprachen (und kognitive Ordnungssysteme) lässt sich das griechisch-lateinisch-angelsächsische Vokabular gar nicht ohne weiteres übertragen; von den vielschichtigen Assoziationen, die für geübte Westler bei einem Begriff wie «Partei» oder «Wahl» oder «Meinungsfreiheit» mitschwingen, ganz zu schweigen. So wurde im westafrikanischen Senegal, mit seiner frankophonen Kolonial- und Elitentradition, in den 1990er Jahren aus der (französischen) «démocratie» die «demokaraasi» der indigenen Wolof-Sprache. In ihr klangen eigene Bedeutungsschichten politischer Praxis mit, die Werte und Lebenswelt einer nicht so sehr individualistischen, sondern solidarisch-kollektivistischen Gesellschaft reflektierten. Was aus westlicher Sicht eine Verletzung demokratischer Grundprinzipien wäre: nämlich das klientelistische «Einsammeln» von Stimmen durch sozial Höherstehende, fügte sich in die Praxis dieser «demokaraasi» nahtlos ein.
Aber wo verläuft die Grenze zwischen der kulturellen Ãbersetzung und Anpassung westlicher Konzepte einerseits, der Verletzung demokratischer Grundprinzipien andererseits? Auch wenn, zum Beispiel, das Frauenwahlrecht in Europa selber eine sehr junge Errungenschaft ist, könnte man im Ausschluss von Frauen heute kaum eine kulturelle Anpassung von Demokratie sehen, sondern nur ein demokratisches Defizit, so wie Frauen seit dem 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika ihre Teilhabe gegen die patriarchalischen Traditionen des Westenseingeklagt haben. In einer kommunikativ globalisierten (und sprachlich anglisierten) Welt wie der des Internets sollte man die «Ãbersetzungsschwierigkeiten» auch nicht überschätzen. Wo Menschen gegen Unterdrückung und Verfolgung, für freie Wahlen und Pressefreiheit auf die StraÃe gehen, hat das überall auf der Welt dieselbe Bedeutung. Ob sich deshalb im Zuge einer globalen Ausbreitung von Demokratie nicht ein und dasselbe westliche Grundmuster durchsetzt, sondern eher ein buntes Spektrum verschiedener, regional und kulturell definierter «Demokratismen», kann man deshalb bezweifeln. Der israelische Soziologe Shmuel Eisenstadt hat für die Globalisierung das Bild einer «vielfältigen Moderne», von «multiple modernities», gegen das einer stromlinienförmigen Verwestlichung oder Amerikanisierung gestellt. Ostasiatische Kultur und Gesellschaft bleiben, trotz Internets und globalen Konsumverhaltens, von Europa und von Nordamerika unterschiedlich; im arabischen Raum wird sich
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