Was ist Demokratie
Strich reicht nicht aus, ob er in den Himmel weist oder als fallende Parabel dem Nullpunkt zustrebt. Deshalb ist hier vorgeschlagen worden, die Entwicklung der Demokratie in drei Perspektiven zu sehen: als ein Versprechen und eine Erfüllungsgeschichte; als eine Krisengeschichte; und als eine beständige Suche nach neuen Formen von Freiheit und Partizipation. Man kann sich andere Perspektiven, andere Begriffe vorstellen. Aber wir müssen Wege finden, die Geschichte der Demokratie auch nach der Phase der klassischen westlichen Nachkriegsordnung weiterzuerzählen, als Geschichte neuer Demokratie.
Ist die Demokratie denn die beste aller Regierungsformen? Das ist eine Frage der politischen Ethik, die nicht mehr so häufig gestellt wird â auch deshalb, weil schon in der Frage das Pathos und die Arroganz der Ãberlegenheit mitzuschwingen scheinen. Dabei sind die Antworten in den letzten Jahrzehnten eher zurückhaltend und bescheiden ausgefallen. Der skeptische Ton der Nachkriegszeit, der in der Demokratie die nur relativ beste Versicherung gegen Machtmissbrauch, Unfreiheit und Gewalt sah, ist in der jüngeren politischen Theorie und Philosophie häufig aufgegriffen worden. Anhänger der Demokratie sollten, so der amerikanische Philosoph Richard Rorty, nicht mit dem schweren Gepäck einer wesensmäÃigen Ãberlegenheit unterwegs sein, nicht mit metaphysischen oder quasi-theologischen Ansprüchen argumentieren. Vielmehr ist der Demokratie unter pragmatischen und relativen Gesichtspunkten der Vorzug vor anderen Systemen zu geben. Sie ist, nach bisheriger und gegenwärtiger Erfahrung, besser als jede Alternative. Sie überzeugt nicht durch ihre Stärke, sondern, wie John Keane meint, gerade durch ihre Schwäche, ihre Offenheit und Verletzlichkeit. Im Gegensatz zu anderen bekannten Verfassungs- und Gesellschaftsformen vermag sie sich selber in Frage zu stellen, und gerade aus dieser Fähigkeit zur Selbstkritik â die, praktisch gesehen, immer wieder erstritten werden muss! â haben sich Dynamik und Erneuerung der Demokratie in den letzten Jahrzehnten maÃgeblich gespeist. Aus heutiger Sicht kommt deshalb nach der Demokratie: die Demokratie.
9 Was habe ich von der Demokratie?
Die Zukunft demokratischer Regierungssysteme wird auch davon abhängen, wie viel Zustimmung und Unterstützung sie in der Bevölkerung erfahren können. Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist diese Frage wieder offener geworden als sie einige Jahrzehnte früher schien. In der Systemkonfrontation des Kalten Krieges und in einer Zeit noch weithin ungebrochenen Fortschrittsbewusstseins folgten die westlichen Länder der wärmenden Sonne der Demokratie. Sie war entweder selbstverständlich oder, wie in der Bundesrepublik, noch nicht selbstverständlich genug: als das rettende Ufer, das man nach dem Absturz in Diktatur, Krieg und Völkermord gerade eben glücklich erreicht hatte. In jedem Fall erschien Demokratie als ein «Wert an sich», der keiner weiteren Rechtfertigung bedurfte, schon gar nicht der nüchternen Frage nach dem Nutzen oder Schaden für das eigene Leben.
Ob die Präferenz für bestimmte politische Systeme an ihrem «output» gemessen werden kann, also an den von ihnen für die Bevölkerung generierten Leistungen, ist umstritten. Man kann das umso leichter tun, je abstrakter und immaterieller diese Leistungen definiert sind: Kaum jemand würde bestreiten, dass demokratische Systeme sich an dem Grundversprechen der Freiheit, aber auch der Gewährung von Sicherheit messen lassen müssen. Aber wie steht es um die Bereitstellung eines vernünftig bezahlten Arbeitsplatzes, oder um möglichst groÃen Wohlstand für möglichst viele? Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen einer kollektiven und einer individualistischen Perspektive. Wenn ein politisches Regime möglichst das «Gemeinwohl» befördern soll, etwa im Sinne der klassischen Formel des Utilitarismus vom «gröÃten Glück der gröÃten Zahl», muss ein Einzelner auch in Kauf nehmen, dass er selber nicht zu jener Mehrheit gehört, die das System im Ganzen überlegen macht. Oder er wählt eine individuell-utilitaristische Perspektive und fragt, was er selber denn, in seiner konkreten und auch privaten Lebensführung, durch die Demokratie gewinne: ein höheres Einkommen, einen sicheren Lebensabend, Glück inmitten von Familie und
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