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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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unterstützt haben: Die Macht des Diskurses, den Sog demokratiezerstörenden Redens sollte man nicht unterschätzen. Historiker haben in den letzten Jahren immer wieder gezeigt, dass Sprache Deutungen der Wirklichkeit formiert und damit Handlungsspielräume eröffnet oder verschließt; das «Sagbare» und das «Machbare» sind eng miteinander verknüpft. Vor diesem Hintergrund klingen manche Abgesänge auf die Demokratie schief: nicht nur voreilig, sondern auch gefährlich. Wer wie Crouch von einer «parabelförmigen Lebenskurve der Demokratie» spricht und die Gegenwart auf dem absteigenden Ast dieser Parabel sieht, muss sich zumindest im Klaren darüber sein, dass er damit Denken, Sprache und Metaphern der Demokratiefeinde aus dem frühen 20. Jahrhundert unmittelbar wieder einführt.
    So ist der suggestive Begriff der «Postdemokratie» zumindest missverständlich. Möglicherweise meint er gar keinen Abschied von der Demokratie, sondern ihre Weiterentwicklung, ihren Übergang in einen neuen Aggregatzustand – analog zu Begriffen wie dem «Poststrukturalismus». Einer nicht geisteswissenschaftlich hochgebildeten Bevölkerung ist das aber schwer zu vermitteln. Wer nicht «nach der Demokratie» meint, sondern «nach der klassischen, repräsentativen Demokratie», sollte das auch sagen, so wie in diesem Buch öfters von der postklassischen Demokratie die Rede war, die sich um partizipatorische Dimensionen erweitert hat. Andererseits haben demokratische Systeme und demokratische Kultur die immer wieder erneuerten Versuche, die liberal-repräsentative Demokratie als bloße bürgerliche Fassade zu entlarven und ihren nahe bevorstehenden Zusammenbruch begrifflich zu prognostizieren, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts unbeschadet überstanden. So gesehen, steht die vermeintliche «Postdemokratie» in der unmittelbaren Nachfolge des «Spätkapitalismus» der 1960er und 70er Jahre.
    Trotz Globalisierungsrhetorik ist diese Perspektive zudem sehr auf eine westliche Binnensicht begrenzt. Sie setzt nämlich das Vorhandensein einer liberalen Demokratie, die man dann mit aller Schärfe kritisieren kann, voraus. Für polnische oder tschechische Dissidenten der 80er Jahre, chinesische oder ägyptische Demonstranten zwischen 1989 und 2011 oder für die afrikanischen Friedensnobelpreisträgerinnen des Jahres 2011 ist Demokratie offenbar immer noch mehr als ein korruptes Regime kapitalistischer Eliten. In all diesen Bewegungen, ebenso wie in immer neuen Protestformen, Wahlkampagnen und Parteibildungen des Westens – von Barack Obama über die «Piraten» bis zur «Besetzung» der New Yorker Wall Street gegen die Macht von Banken und Finanzkapitalismus –, haben sich gerade jüngere Menschen politisch engagiert – und zwar sehr dezidiert im Namen der Demokratie, nicht gegen sie. Die in der kritischen politischen Theorie neuerdings öfters geäußerte These von einer «Entpolitisierung» als Teil innerer demokratischer Entleerung wird in der Praxis vielfältig widerlegt und ist deshalb empirisch nicht haltbar. Man muss genauer hinschauen, denn es gibt beides: Politikverdrossenheit, den Rückzug von Ärmeren und Benachteiligten aus der Demokratie, gewiss auch das Schrumpfen klassischer Engagementformen wie der Parteimitgliedschaft. Daneben steht eine expandierende Welt der Partizipation, die vor allem von Jüngeren und Angehörigen der Mittelschichten gestaltet wird; die Welt einer vielfältigen, einer multiplen Demokratie. Oft sind Frustration und Protest zwei Seiten derselben Medaille, so wie das in den sozialen Bewegungen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts regelmäßig der Fall war. Daraus ist demokratische Kultur bisher gestärkt, und nicht geschwächt, hervorgegangen.
    Selten ist über Demokratie mehr gesprochen worden als heute: emphatisch, kritisch, klagend, fordernd; in allen Tonlagen und in allen Teilen der Welt. Diese diskursive Zentralität von Demokratie ist eine der besten Bestätigungen, dass ihre Geschichte noch nicht zu Ende ist, und dass es ein «jenseits der Demokratie» so schnell nicht geben wird. Aber die Unsicherheit ist größer geworden, wie diese Geschichte zuerzählen sei. Der Triumphalismus von einst hat ausgedient, und das gleiche sollte für sein Spiegelbild gelten, die nicht weniger eindimensionalen Verfallstheorien. Ein einziger

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