Was ist Demokratie
Freunden?
Dahinter steht die Unterscheidung zwischen einer privaten und einer öffentlichen, zwischen einer individuellen und einer kommunitären Betrachtung. Für die Demokratie spiegelt sich darin das Nebeneinander von liberaler und republikanischer Tradition, und ein Stück weit auchihr Konflikt. Aus liberaler Perspektive hat der Staat Freiheit und Schutz des Individuums zu gewährleisten. Bürger und Bürgerin müssen ihr Leben, in Familie und Erwerb, möglichst frei führen können. Die Leistungen der Regierung müssen sich daran messen lassen. In republikanischer Perspektive dagegen steht nicht der Einzelne im Vordergrund, sondern die gemeinsame Freiheit â nicht als negative Freiheit «von» etwas, sondern als positive Freiheit «für» etwas, und zuallererst: für die freie, das heiÃt selbstbestimmte politische Ordnung. Ob ich als Privatmensch reich oder glücklich bin, ist dann gar nicht entscheidend.
Die Spannung zwischen beiden Polen ist unverzichtbarer Teil der Demokratie. Auch wenn man der republikanischen Variante den Vorzug gibt, lässt sich die Frage nach Leistungen und Nutzen demokratischer Systeme nicht umgehen. Sie gehört zu klassischen Definitionen der Demokratie wie derjenigen Abraham Lincolns als Regierung «aus dem Volk, durch das Volk, für das Volk». Sie wird in gegenwärtiger Stimmung der politischen Enttäuschung, in Verbindung mit einer unsicherer gewordenen wirtschaftlichen Situation oder sozialen Sicherung, von vielen Menschen gestellt, denen der Hinweis auf die prinzipielle Unzulässigkeit eines solchen MaÃstabs kaum weiterhelfen dürfte. Sie verweist aber auch auf einen engen Wirkungszusammenhang in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, und besonders in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach der Etablierung eines demokratischen Staates mit dem Grundgesetz konnten die Westdeutschen auch deshalb schnell zu inneren Demokraten werden, weil sie die politische Ordnung der Bundesrepublik mit der Prosperität des «Wirtschaftswunders», mit der Verbesserung der eigenen Situation und der Verlässlichkeit sozialer Sicherung verbanden. Die fatale Weimarer Assoziation von Demokratie, ökonomischer Krise und Instabilität trat so rasch in den Hintergrund.
Aber auch jenseits der besonderen deutschen Erfahrung ist die Beziehung zwischen demokratischer Regierung und materiellem Wohlstand eng. Empirisch ist seit den 1950er Jahren immer wieder der Nachweis geführt worden, dass demokratische Staaten einen besonders hohen ökonomischen Entwicklungsstand aufweisen, auch einen hohen Bildungsstand der Bevölkerung; und umgekehrt sind wirtschaftlich und sozial weit entwickelte Länder überdurchschnittlich oft Demokratien. Aber was steht am Anfang? Es ist ein klassisches «Henne-und-Ei»-Problem, das immer wieder auch mit politischem Kalkül diskutiert worden ist. Insofern wirtschaftliche Entwicklung, Verstädterung und Bildungsexpansion demokratische Institutionen nach sich ziehen, istdas ein Argument für langfristig angelegte Entwicklungspolitik als Demokratieförderung. Wenn demokratische Institutionen am Anfang stehen, und unter ihnen wirtschaftliche, soziale und kulturelle Prosperität sich besonders wirkungsvoll entfalten, kann man autoritären Gesellschaften die Demokratie mit der Aussicht auf materielle Entfaltung vielleicht schmackhaft machen. Vor einem halben Jahrhundert prägte dieser Nexus die Modernisierungstheorien der amerikanischen Politikwissenschaft, mit ihrem Vertrauen auf den Siegeszug des eigenen Modells eines demokratischen Massenkapitalismus. Heute greift die «Human Development»-Forschung in der politischen Soziologie eine ähnliche Problematik auf, mit einem erweiterten Blick auf die sozialen und kulturellen Lebenschancen von Menschen auch jenseits materieller Güter, und auf deren Verknüpfung mit demokratischer Regierung, «good governance» und selbstbestimmtem Handeln im weitesten Sinne.
In Deutschland ist die Zufriedenheit mit der Demokratie, nach der Euphorie von Mauerfall und Wiedervereinigung, am Anfang des 21. Jahrhunderts nicht mehr gewachsen, nach manchen Umfragen sogar ein wenig abgebröckelt. Im Westen ist die Zustimmung deutlich höher als in den neuen Bundesländern. Darin kommen enttäuschte Erwartungen, das Gefühl der Ãbermacht des Westens, auch die schwierigere wirtschaftliche Situation und der gefühlte Verlust von
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