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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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stößt, steht die Schweiz mit ihrer Tradition der Neutralität weithin als Muster für Selbstbescheidung und friedliche Bürgerbeteiligung in der direkten Demokratie. Aber auch kritische Facetten des Schweiz-Bildes verknüpfen sich mit der besonderen bürgerlich-politischen Verfassung: die Militarisierung der Gesellschaft durch das Milizsystem, oder die zögernde Durchsetzung des Frauenstimmrechts, das auf Bundesebene erst 1971 gewonnen wurde. Dahinter scheint die größere Frage auf, ob eine besonders lange demokratische Tradition der modernen Dynamik der Demokratie überhaupt förderlich ist, oder sie sogar eher zu blockieren, jedenfalls zu verzögern vermag.
    In der öffentlichen Darstellung reicht die Schweizer Freiheitstradition bis in das Jahr 1291 zurück, als Vertreter der drei Zentralschweizer «Urkantone» Uri, Schwyz und Unterwalden sich in der Nähe des Vierwaldstätter Sees mit einem Schwur zur Abwehr der Habsburger verbündeten. An diesen «Rütlischwur» erinnert bis heute der Nationalfeiertag, die Bundesfeier, am 1. August. Schon darin vermischen sich jedoch historische Wirklichkeit und viel spätere Legendenbildung. Auf das Jahr 1291 wurde die «Gründung» der Schweiz erst am Ende des 19. Jahrhunderts verlegt; bis dahin war der Rütlischwur nach allgemeiner Ansicht erst 1307 geleistet worden. Und die Bemühungen, der Eidgenossenschaft eine Legitimation in einem formellen und hochsymbolischen Gründungsakt zu geben, reichen sogar bis in das 16. Jahrhundert zurück. Dazu gehört auch die Geschichte von Wilhelm Tell – nicht nur Schweizer Nationalheld, sondern durch das Drama von Friedrich Schiller auch eine Ikone des deutschen Bildungsbürgertums bis in die Mitte des 20.Jahrhunderts: Nachdem Tell von dem bösen habsburgischen Landvogt Gessler gezwungen worden war, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen, überlistet er Gessler und tötet ihn, der mit der heimischen Landschaft nicht vertraut ist, in der «hohlen Gasse».
    Aus dem Jahre 1291 datiert eine von vielen Urkunden, die eine schwurförmige Verbindung der drei «Waldstätten», wie es ursprünglich hieß, von Uri, Schwyz und Unterwalden belegen. In das späte13. Jahrhundert reicht also tatsächlich, unabhängig von Rütlischwur und Wilhelm Tell die Geschichte der ursprünglichen, der «alten» Eidgenossenschaft zurück. Bürger in Städten und Bauern in den Dörfern der Bergtäler schlossen sich politisch und militärisch zusammen, und tatsächlich spielte dabei die Abwehr der Habsburgischen Herrschaftsansprüche eine wichtige Rolle. Die Kantone der Ur-Schweiz gaben dabei aber ihre Unabhängigkeit nicht auf, sie machten sich also nicht auf den Weg zu einem einheitlichen Territorialstaat. Und nach außen gelang es ihnen nicht nur – keineswegs friedlich, sondern mit erfolgreichen Militärkampagnen –, die Habsburger abzuschütteln. Sie erlangten auch zunehmende Selbstständigkeit vom Heiligen Römischen Reich, die ihnen 1648 im Westfälischen Frieden, nach dem Dreißigjährigen Krieg, auch offiziell zugestanden wurde. Ähnlich wie die Zentralschweiz entwickelten sich benachbarte Regionen und Alpentäler, zum Beispiel das Wallis (also das Rhonetal mit seinen Nebentälern), wo die erzbischöfliche Herrschaft seit dem 14. Jahrhundert allmählich einer Selbstregierung verbündeter Gemeinden wich; oder weiter östlich in der Quellregion des Rheins, wo aus verschiedenen Bünden im 15. Jahrhundert der «Freistaat der Drei Bünde» hervorging, Vorläufer des heutigen Kantons Graubünden, und sich seinerseits mit der Eidgenossenschaft verbündete.
    Warum sich gerade in dieser Region das Streben nach politischer Autonomie erfolgreich durchsetzen konnte, gegen den kontinentaleuropäischen Haupttrend der Territorialisierung und fürstlichen Staatsbildung, ist eine schwierige Frage – zweifellos aber spielten die naturräumlichen Bedingungen eine wichtige Rolle. Das Hochgebirge erwies sich nicht unbedingt als ein ökonomischer Gunstfaktor, wohl aber als ein politischer. Die Erträge waren gering; vieles konnte nur in der Gemeinschaft der Dorfbewohner geregelt und erwirtschaftet werden – ein praktischer Zwang zur Solidarität der Ansässigen und wenig attraktiv für eine fremde Herrschaft. Die Eidgenossenschaft selber

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