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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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Verfolgung und Tötung vermeintlicher Gegner zu entkommen versuchten. In den «Septembermorden» waren 1792 bereits etwa 1000 Häftlinge in Pariser Gefängnissen gelyncht worden. Dass es im Frühjahr 1793 tatsächlich einen größeren antirevolutionären Aufstand in der westfranzösischen Vendée gab, bestärkte Robespierre und seine Anhänger in ihrem Weltbild und Vorgehen.
    Die Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses war also darin demokratisch, dass sie die Rechte und Freiheiten, die von den Eliten gefordert wurden, auch der einfachen Bevölkerung auf eine Weise zugänglich machen wollte, mit der diese etwas anfangen konnte: als Sorge um ihre sozialen Rechte; in dem Akzent auf die Durchsetzung einer nicht nur rechtsgleichen, sondern auch ökonomisch gleichen Gesellschaft. Für dieses Ziel, und überhaupt zur Erweiterung und Bewahrung der Revolution, hielt Robespierre auch Mittel für gerechtfertigt, die liberale und demokratische Grundprinzipien aufs Spiel setzten: In einer Notsituation, wie sie die Jakobiner 1793/94 sahen, konnte das Parlament (alsoder Konvent) umgangen werden. In seiner berühmten Rede «über die Prinzipien der politischen Moral» sprach Robespierre im Februar 1794 vom «Despotismus der Freiheit» – man musste die Freiheit also auch autoritär-diktatorisch betreiben. Er unterschied das Volk von den «Feinden des Volkes», was sich leicht als Einfallstor für willkürliche Verfolgung herausstellen konnte. Überhaupt genoss das öffentliche Interesse im Zweifel den Vorrang vor Einzelinteressen und dem Individuum. Die Revolution wurde zum Ziel an sich; Robespierre war von dem Bewusstsein durchdrungen, die Revolution nicht nur zu beobachten, sondern sie aktiv gestalten, ihr Ziel und Richtung geben zu können. Bis heute sehen manche Historiker in der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses und der «Terreur» den demokratischen Höhepunkt der Revolution, andere ihr fatales Abgleiten von demokratischen Prinzipien, ihre «dérapage».
    Nicht nur in Paris, auch in der Provinz fielen Zehntausende, einfaches Volk und gebildete Eliten, dieser Suche nach dem Revolutionsideal zum Opfer – dann fiel Robespierre selber, am 27. Juli 1794, nach dem Revolutionskalender im Hitzemonat Thermidor. Der Konvent übernahm wieder die Herrschaft, doch blieb die Situation in den folgenden Jahren des Direktoriums (1795–1799) labil, von Umstürzen und Aufständen geprägt. Die radikal-egalitären, frühsozialistischen Impulse erhoben sich noch einmal in François Babeufs «Verschwörung der Gleichen» im Frühjahr 1796. Dann beendete Napoleon Bonaparte die Revolution, zunächst als Konsul, seit 1804 als gekrönter Kaiser der Franzosen. Der Begriff «Thermidor» bezeichnet seitdem, auch über die Französische Revolution hinaus, den Umschlagpunkt von der Radikalisierung in die Stabilisierung – und je nach politischer Interpretation den konservativ-reaktionären Abbruch radikaler Demokratisierung oder die Gewinnung demokratischer Stabilität nach einer Phase der Überhitzung, die sich gegen die Demokratie selber zu wenden droht.
5 Neuordnung der Welt:
Revolution und demokratische Gesellschaft
    Die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts haben demokratische Herrschaft, wie wir sie heute verstehen, nur in ersten Ansätzen etabliert. Aber es bleibt gerechtfertigt, auch in globaler Perspektive, sie als den wichtigsten einzelnen Durchbruch zur modernen Demokratiezu verstehen. Gerade die jüngere Forschung zur Amerikanischen und Französischen Revolution hat das besonders unterstrichen. Denn über das Schreiben von Verfassungen und die Einrichtung von Parlamenten, über die Verkündung abstrakter Ideale hinaus haben diese beiden Revolutionen auf neuartige Weise eine demokratisierende Tiefenwirkung entfaltet und demokratische Gesellschaft sehr praktisch, nicht nur in großen Theorien, greifbar werden lassen. Aus vielen früher nicht beachteten Quellen wissen wir inzwischen, dass die Revolution auch im Alltag der einfachen Menschen in Nordamerika und Frankreich ankam, ihr Leben und ihre Weltsicht veränderte. Viele verhasste Abhängigkeiten entfielen; oftmals eröffnete sich eine freiere Gestaltung des eigenen Lebens. Die meisten Männer und Haushaltsvorstände konnten in Wahlen Einfluss auf die Politik nehmen, vor Ort ebenso wie auf der nationalen Ebene. Das

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