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Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
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das Königtum hinweg; seit dem 21.September 1792 war Frankreich Republik, besiegelt mit der symbolträchtigen Hinrichtung Ludwigs XVI. im folgenden Januar. Zur Demokratie drängte aber nicht zuletzt das Programm und Gesetzeswerk der Revolution, schon im Sommer 1789. In der Nacht vom 4. August wurde die feudale Ordnung mit ihren persönlichen Unfreiheiten, ungleichen Rechtsverhältnissen und ökonomischen Abhängigkeiten abgeschafft. Zwar zog sich die Umsetzung noch lange hin, aber im Prinzip war damit eine Gesellschaft rechtsgleicher Individuen und freier Eigentümer geschaffen. Die Abschaffung der Feudalordnung ist ein wichtiges Beispiel dafür, dass Freiheit und Gleichheit, manchmal im Konflikt miteinander, auch unauflöslich verbunden sein konnten. Rechtsgleichheit und Freiheit von Abhängigkeit, auch Freiheit des Eigentums, waren hier zwei Seiten derselben Medaille.
    Die Bedeutung der individuellen Freiheit einer rechtsgleichen Gesellschaft von «citoyens», von Staatsbürgern, kam besonders in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 zum Ausdruck, die als erster Teil der Verfassung gedacht war. In ihr klang das Denken der französischen Aufklärer, nicht zuletzt von Jean-Jacques Rousseau und seinem «Contrat Social» (1762) an, etwa wenn die politische Einheit der Nation in ihrem «allgemeinen Willen», Rousseaus «volonté générale», begründet wurde. Überhaupt sind die Akzente gegenüber den amerikanischen Grundrechtserklärungen – die «Bill of Rights» entstand ja im selben Jahr 1789 – auf charakteristische Weise verschoben. Auch im Verständnis der Französischen Revolution stand die Freiheit im Vordergrund; die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechteankert in der Emphase der Freiheit, nicht der Gleichheit. Aber ihr Freiheitsbegriff tendiert zum einen eher zu einer «negativen Freiheit»: der Freiheit, all das tun zu können, was anderen nicht schadet (Art. IV), während in den USA die «positive Freiheit», die Freiheit zu etwas bestimmtem, wichtiger ist: zur freien Rede, zur freien Ausübung von Religion. Zum anderen versteht sie die Nation als eine Einheit, die nicht erst als Summe ihrer Individuen zustande kommt und zur Quelle der Souveränität wird. Das Individuum ordnet sich der Nation im Zweifelsfall ein und unter; persönliche Freiheiten sind von Anfang an mit Vorbehaltsklauseln verknüpft (Art. III, X, XI). Dieser Unterschied prägt auch die Form der Bewaffnung: durch ein stehendes Heer mit allgemeiner Wehrpflicht statt durch eine Bürgermiliz (Art. XIII). Die Freiheit der Französischen Revolution betont die Gleichheit der Staatsbürger von vornherein stärker; sie hat einen mehr egalitären Grundzug (Art. I). Das wirkt bis heute in amerikanisch-europäischen Unterschieden nach.
    So ist es nicht mehr überraschend, dass «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» nicht nur zur klassischen Parole der Französischen Revolution geworden ist, sondern in ganz Europa und darüber hinaus das Selbstverständnis sozialer Bewegungen, vor allem der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie im 19. und 20. Jahrhundert, maßgeblich geprägt hat: überall da, wo soziale Rechte und sozialer Zusammenhalt als fundamentaler Teil von Demokratie gesehen wurden, über die Rechte und Stärken und Freiheiten des Individuums hinaus. Sie ist darüber hinaus als eine zentrale Formel in das Selbstverständnis der französischen Demokratie eingegangen, die sich in der Verfassung der Fünften Republik von 1958 ausdrücklich darauf beruft, ebenso wie auf die blau-weiß-rote Trikolore und auf das Revolutionslied der «Marseillaise» als Nationalhymne. So sind «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» in der Traditionsbildung bis heute sogar noch wichtiger für die Verankerung von Demokratie und Volkssouveränität geworden, als sie es für die Revolutionäre selber waren.
    Unterdessen hatte die revolutionäre Dynamik die Ereignisse immer schneller vorangetrieben und viele der Akteure radikalisiert. Das war nicht nur in Frankreich so, sondern ist, in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen, stets die Bedingung des Erfolges von Revolution wie Teil ihres Dilemmas. So gewaltsam und intolerant sich diese Phase der Revolution zuspitzte, wurde sie doch durch wesentliche Kräfte der

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