Was ist Demokratie
unterteilte, welche zugleich die jüdisch- christliche Siebentagewoche ersetzten.Auch wenn die Menschen in der Provinz diese offiziellen Versuche einer grundlegenden Umordnung der Welt allenfalls mühsam akzeptierten, waren sie doch der Ausdruck einer besonderen republikanisch-demokratischen Emphase: Ausdruck des Anspruchs, dass die Demokratie ein völlig neues Zeitalter einläutete. Und jenseits von Antiklerikalismus und Kalenderreform hat die Französische Revolution auch weitab von Paris einen tiefgreifenden Umbruch von Lebenseinstellungen und Mentalitäten bewirkt: Der Blick auf Leben und Tod, Vergangenheit und Zukunft, Notwendigkeit und Freiheit veränderte sich unwiderruflich.
Jede Revolution hat ihre Grenzen, und die Grenzen der Amerikanischen und Französischen Revolution blieben besonders im Hinblick auf die Inklusion: von Frauen, von Nicht-Europäern, klar gezogen. In einem berühmten Buch hat Alexis de Tocqueville 1856 argumentiert, die Französische Revolution habe das Ancien Régime in vielem fortgesetzt: zum Beispiel im Zentralismus, oder in der Staatsorientierung, die von der absoluten Monarchie auf Nation und Republik übertragen wurden. Das kann man auch so lesen: Revolutionen haben langlebige historische Traditionen auch in die jeweiligen Gestaltungen, in die nationalen Varianten von Demokratie eingespeist. In den Revolutionen des 19. Jahrhunderts trat der Anspruch auf einen radikal-egalitären Umsturz der Alltagsordnung wieder in den Hintergrund â teils wegen der Erfahrungen der Französischen Revolution; vor allem aber wohl, weil jetzt andere Kräfte die Dynamik alltagskultureller Demokratisierung trieben, etwa die Urbanisierung und dann der Massenkonsum. Erst im 20. Jahrhundert gewann dieses Motiv neue Attraktivität, mit teils zerstörerischer Wirkung: in der Russischen Revolution und im frühen Stalinismus; in der chinesischen Kulturrevolution der 1960er Jahre; teils auch in der Islamischen Revolution im Iran. Lässt sich daraus schlieÃen, Revolutionen sollten ihren demokratischen Anspruch besser auf die politische Ordnung, auf das Regierungssystem im engeren Sinne beschränken? Dagegen spricht nicht zuletzt eine deutsche Erfahrung: die der Revolution von 1918/19, welche die Weimarer Demokratie etablierte, aber eine demokratische Gesellschaft und Kultur nicht zu schaffen vermochte.
6 Demokratie und Scheitern
in der deutschen Revolution von 1848/49
Die Revolution von 1848 und 1849 ist ein zentrales Ereignis und eine Wendemarke in der Geschichte von Demokratie in Deutschland. Aber sie «gehört» nicht allein den Deutschen, die sich damals oft überhaupt erst als solche zu verstehen begannen, ob in Wien, Königsberg, Köln oder Stuttgart. Mitteleuropa war nur ein Schauplatz, wenn auch am Ende wohl der wichtigste, einer europäischen Freiheitsbewegung, die im Januar 1849 mit Aufständen im Norden und Süden Italiens begann und mit der Februarrevolution in Paris ihr groÃes Signal für liberale Forderungen und Proteste in Mittel- und Südosteuropa setzte: vor allem im Deutschen Bund und im Habsburgerreich. Weil die Welle Ende Februar über den Rhein schwappte und im März 1848 die meisten deutschen Staaten erschütterte, sprach man früher von der «Märzrevolution», doch dauerte sie tatsächlich bis zum Sommer des folgenden Jahres an, als die letzten Aufstände militärisch niedergeschlagen wurden.
Die «deutsche Revolution von 1848/49», wie sie jetzt überwiegend genannt wird, stand aber nicht nur im europäischen Kontext, sondern auch in einer längeren, wiederum europäischen Vorgeschichte. Seit 1821 kämpften die Griechen um ihre Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich; 1830 erhoben sich die Polen, ebenfalls ohne eigenen Staat, für ihre Freiheit und die Unabhängigkeit von Russland. Die Pariser Julirevolution im selben Jahr stürzte die Bourbonen-Monarchie und brachte den «Bürgerkönig» Louis Philippe an die Macht. Von den westlichen und östlichen Nachbarn ermuntert, gewannen liberale und demokratische Kräfte auch in Deutschland neues Selbstbewusstsein. Viele Regierungen lieÃen die Zügel der Zensur und politischen Ãberwachung lockerer. Bürger organisierten sich in Vereinen und trafen sich zu Festen und Demonstrationen. Zum Hambacher Fest strömten am 27. Mai 1832 an die 30.000 Menschen zur Schlossruine Hambach in der Pfalz. Sie
Weitere Kostenlose Bücher