Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was ist Demokratie

Was ist Demokratie

Titel: Was ist Demokratie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Nolte
Vom Netzwerk:
Republik entstanden politische Konflikte und Strategien, die man früher bisweilen als Parteien verstanden hat: Politiker wie die «Gracchen», die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus, stützten sich in ihrer Politik mehr auf das einfache Volk und wurden deshalb als «Popularen» bezeichnet, im Gegensatz zu den «Optimaten», die ihre Politik klassisch in der Senatsaristokratie verankerten. Aber feste politische Richtungen waren das nicht, geschweige denn Organisationen. Auch in den Städten des Spätmittelalters, seit dem 13. Jahrhundert, äußerten sich politische und soziale Spannungen zwischen der Führungsschicht, dem Patriziat, und den nach Anteil an der Macht strebenden Handwerkern in den Zünften. Diese Lager prägten manchmal bis an die Schwelle der Moderne um 1800 die städtische Politik, zumal in den Reichsstädten. Im frühen 19. Jahrhundert «adoptierten» solche Lager und Konfliktparteien bisweilen sogar eines der neuen politischen Programme wie den Liberalismus, um zusätzliche Überzeugungskraft und höhere ideologische Legitimation für ihre lokalen Interessen zu gewinnen.
    Vor allem aber liegen die Ursprünge von Parteien in drei wesentlichen Konstellationen, die sich in der Frühen Neuzeit, also im 16. bis 18. Jahrhundert, zwischen Reformation und Französischer Revolution, herausbildeten. Erstens war die Reformation selber ein treibender Faktor,genauer: die konfessionelle Pluralisierung in ihrem Gefolge. Sie zerstörte auf sehr fundamentale Weise die Vorstellung von einer einzigen Wahrheit und einzigen Identität in Europa. Sie legitimierte die Möglichkeit zur «abweichenden Meinung», zum Dissens, und etablierte – nach blutigen Konflikten wie dem Dreißigjährigen Krieg oder dem Englischen Bürgerkrieg – das Konzept der gegenseitigen Toleranz unterschiedlicher Überzeugungen. Die Rede von den «Konfessionsparteien» verweist zwar noch lange nicht auf moderne Parteibildung, aber doch auf eine neuartige Pluralisierung der Gesellschaft – und der Politik, angesichts der damaligen Bedeutung von Religion für den gesamten Lebenshorizont.
    Eine zweite Wurzel führt auf die moderne Staatsbildung, die sich seit dem 17. Jahrhundert, teils als Folge der Reformation, verdichtete, und damit auch auf die Stärkung der Monarchie im Absolutismus. Dagegen formierte sich Widerstand: bei Adligen, die nicht von der Nähe zum Hof profitierten; bei den Ständen, die nicht mehr wie früher einbezogen wurden; überhaupt in Teilen der Eliten, die dieser Machtkonzentration skeptisch gegenüberstanden oder von ihr Nachteile zu erwarten hatten. Schon im Englischen Bürgerkrieg hatten sich Anhänger des Königs und Anhänger des Parlaments bekämpft. Im 18. Jahrhundert erneuerte sich dieser Konflikt und bildete sich auch im Parlament ab, im Gegensatz zwischen den Interessen des «Hofes» und des «Landes», von «Court» und «Country». Die Königstreuen wurden «Tories» genannt, aus ihnen gingen die heutigen Konservativen hervor. Die «Whigs» dagegen verstanden sich als liberale Kritiker der Macht und Vertreter des Landes, obwohl sie im 18.Jahrhundert überwiegend an der Regierungsmacht waren. Im frühen 19. Jahrhundert spielte diese Konstellation auch in der Frühgeschichte deutscher Parteien, vor allem des Liberalismus, eine wichtige Rolle. Die konstitutionelle Monarchie sollte eine Einhegung der absoluten und bürokratischen Herrschaft durch das Volk bewirken; die Liberalen begriffen sich als die Partei des Volkes, des Landes gegenüber der Machtfülle der zentralen Monarchie.
    In einem viel unmittelbareren Sinne aber wurden, drittens, die Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts zu Geburtshelfern moderner Parteien. Sie mobilisierten und politisierten die Gesellschaft weit jenseits der Eliten und zwangen dazu, Stellung zu beziehen. Für oder gegen eine Stärkung des Zentralstaates mit der neuen Bundesverfassung? Das sammelte in Nordamerika die einen im Lager der «Federalists», die anderen bei den «Anti-Federalists». Auf verschlungenen Umwegen gingendaraus schließlich noch die Republikaner und die Demokraten als heutige Parteien der USA hervor. Die Dynamik von Revolution, ihre Radikalisierung wie etwa in Frankreich seit 1792, beförderte die Lagerbildung erst recht. War man mit der konstitutionellen Monarchie und der

Weitere Kostenlose Bücher