Was ist Demokratie
Argument hat bis heute grundlegende Berechtigung, auch wenn die Revolution von Kommunikationsmedien, zuletzt die digitale Revolution, viele Hindernisse aus dem Weg geräumt hat, die um 1800 ganz praktisch der Anreise zu einer allgemeinen Bürgerversammlung entgegenstanden. Vor allem die amerikanischen «Federalist Papers» warben aber auch grundsätzlicher für die Repräsentation, weil sie darin einen Schutz vor der ungehinderten Durchsetzung von Einzel- und Parteiinteressen sahen: einerseits weil Wahlen und Vertretungsprinzip einen Filter gegen Egoismus bilden könnten; andererseits weil in einem groÃen Staat auch eine gröÃere Zahl von Interessen existiere, so dass eine einzelne Position durch eine Vielzahl anderer Meinungen und Interessen aufgefangen und im Zaum gehalten werde. So diene die Repräsentation auch dem Schutz von Minderheiten, die nicht permanent in Abstimmungen unterliegen, sondern im Parlament ihre â wenn auch vielleicht kleine â Vertretung fänden. Auch dieses Argument ist bis heute wichtig, besonders in Demokratien mit Verhältniswahlrecht oder «proportionaler Repräsentation», in denen die Stimmen der Wahlkreisverlierer nicht «verloren gehen».
Es gibt also nicht eine einzige, fundamentale Begründung für repräsentative Demokratie, sondern ein Bündel von Gründen und Rechtfertigungen teils mehr pragmatischer, teils prinzipieller, demokratietheoretischer Natur. Manche Gründe waren früher wichtig, sind es aber heute nicht mehr: so das «aristokratische» Argument, die Demokratie müsse eine Auslese der Besten, der Eliten des Volkes treffen, die zur politischen Entscheidung und Führung befähigt sind. Angesichts der zunehmenden Komplexität politischer Prozesse und ihrer Entscheidungsgrundlagen bietet Repräsentation den Bürgerinnen und Bürgern den Vorteil, sich nicht dauernd selber mit allen Einzelfragen beschäftigen und ein abstimmungsreifes Urteil fällen zu müssen. In einem modernen «Arbeitsparlament» wird dafür auÃerhalb des Plenums, zumal in den Ausschüssen, sehr viel Zeit aufgewendet. So trägt das Parlament auch zur Verstetigung und Kontinuität des politischen Prozesses bei, während einzelne Abstimmungen in der direkten Demokratie oft nicht miteinander im Zusammenhang stehen. Die direkte und zumal die plebiszitäre Demokratie betont die scharfe Alternative, das «Entweder-Oder»: Ein Vorschlag wird angenommen oder abgelehnt. Die repräsentative Demokratie dagegen gibt dem Diskurs, der Meinungsbildung in Rede und Gegenrede mehr Raum; je nach politischer Tradition eines Landes damit auch: dem Kompromiss.
Was aber ist mit «Repräsentation», mit der politischen Vertretung des Volkes (oder: der einzelnen Bürger?) durch Abgeordnete in einem Parlament, eigentlich gemeint? Auch dafür gibt es viele Begründungen, nicht eine einzelne; teils überlappen sie sich, teils stehen sie im Konflikt zueinander. Nach der pluralistischen Vorstellung von Demokratie sind Abgeordnete Vertreter bestimmter Interessen, die sich als Parteien organisieren. Für den einen ist der Umweltschutz am wichtigsten, für eine andere die Bewahrung von Werten, für den dritten soziale Gerechtigkeit und für eine vierte wiederum wirtschaftliche Freiheit: Sie werden eine Partei oder Abgeordnete wählen, die sie damit im Parlament vertritt. Aber die Abgeordneten sind zugleich, so bestimmt es etwa Art. 38 des deutschen Grundgesetzes, «Vertreter des ganzen Volkes», an Aufträge nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Das ist eine Art Fiktion, aber keine unwichtige, weil sie das Prinzip der Volkssouveränität noch einmal in jeden einzelnen Repräsentanten hineinverlagert und zugleich die Unabhängigkeit des Parlaments betont.
Anhänger einer direkten oder radikalen, an der sozialen Basis orientierten Demokratie haben seit dem 18. Jahrhundert bis heute immer wieder für das sogenannte «imperative Mandat» plädiert, das die Abgeordneten an die Beschlüsse und Weisungen der Urwähler, oder der Parteiorgane an der Basis, bindet. Besonders in Umbruchzeiten und in Phasen intensiver politischer Mobilisierung wurde damit experimentiert. Das «freie Mandat» hat sich jedoch durchgesetzt, weil sich eine Mobilisierung der Basis kaum dauerhaft etablieren lieÃ, und weil die Auftragsbindung die unabhängige Kompromissfähigkeit
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