Was ist Demokratie
Bundestagswahlen eingeführt.
Eine prinzipielle Alternative zu Parteien, zu verschiedenen «Teilen» wäre, dass alle Menschen der gleichen Ãberzeugung folgen. Diese Vorstellung ist (historisch) nicht absurd, sondern vom 18. bis zum 20. Jahrhundert sehr häufig vertreten worden. Für Rousseau lieà sich ein «allgemeiner Wille» erkennen, der das objektiv Beste für ein politisches Gemeinwesen beschrieb. Viele, oder sogar alle Bürger, mochten anderer Meinung sein â aber das bedeutete letztlich, dass sie sich irrten, weil sie den Allgemeinwillen nicht erkannten. Auch im rechtsextremen Denken ist eine solche Vorstellung von der Homogenität politischer Ãberzeugungen zeitweise sehr attraktiv gewesen, zum Beispiel bei Carl Schmitt,einem der geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Die einflussreichste Variante dieses Arguments jedoch entstand am Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem Marxismus. Lenin sah die Kommunistische Partei als «Avantgarde» des Proletariats, als Vollstreckerin der Revolution und der Geschichtsgesetze. Andere Ãberzeugungen, andere Parteien durften demnach nicht weiterbestehen, denn ihre Positionen waren falsch und standen dem Fortschritt im Wege. So wurde die Sowjetunion zu einem Einparteienstaat (ebenso wie das nationalsozialistische Deutschland). In der DDR dagegen bestanden, wie in manchen sozialistischen Staaten nach 1945, andere politische Parteien fort, mussten aber die «führende Rolle» der SED anerkennen. Die Abschaffung dieser überall in den Verfassungen verankerten «führenden Rolle» der kommunistischen Partei markierte nicht zufällig eine der schärfsten Zäsuren in der Demokratisierung Osteuropas 1989/90.
Parteien müssen nicht jene fest organisierten Mitgliedschaftsverbände sein, die man gerade in Deutschland, aus historischen Gründen, damit assoziiert. Im späten 19. Jahrhundert hat die SPD ein Muster straffer Organisation entwickelt, nicht zuletzt als Schutz gegen politische Verfolgung und Verteidigung in feindlicher Umgebung, das andere Parteien später nachzuahmen versucht haben. Ursprünglich, auch im historischen Sinne, ist Partei mehr eine Gesinnungsgemeinschaft als eine Organisation. «Parteibildung» verweist zunächst einmal darauf, dass sich unterschiedliche Ãberzeugungen und Lager in einer politisierten Gesellschaft bilden. Wie verbindlich oder wie hierarchisch man sich dann organisiert, kann sehr unterschiedlich sein. In den USA sind die Parteien nur lose Gebilde, die Parteivorsitzenden weithin unbekannt. Aber ein GroÃteil der Bevölkerung «bekennt» sich als Demokrat oder Republikaner im Sinne einer Grundüberzeugung und ist für sie als Wähler eingetragen. Damit ist eine weitere Funktion, ein Aggregatzustand moderner Parteien benannt: Sie sind ganz vorrangig Wahlmaschinerien â ohne den Bezug auf regelmäÃige Wahlen in einem repräsentativen System sind Parteien kaum denkbar. Sie wollen Wahlerfolge erzielen und dadurch politische Entscheidungen gestalten. Tatsächlich liegt eine weitere Wurzel von Parteien im Parlament: Auch da, wo (wie etwa in der Frankfurter Paulskirche 1848) einzelne Abgeordnete noch nicht eindeutig für eine Partei ins Parlament gewählt wurden, fanden sie sich dort in Gruppen ähnlicher politischer Meinung zusammen. Ãhnlich wie ein Verein traf man sich anfangs in bestimmten Gaststätten. Die heutigen Parlaments-«Fraktionen» waren «Clubs» â in ÃsterreichheiÃen die Fraktionsvorsitzenden deshalb bis heute «Klubobmann» (oder Obfrau). Was Partei ist, kann von der lockeren Gesinnung bis zur straffen Organisation, von der dörflichen Politik bis zum nationalen Parlament also sehr Unterschiedliches bedeuten. Der Angelpunkt ist aber immer die Mobilisierung für Wahlen.
Die Skepsis oder gar Feindschaft gegenüber politischen Parteien ist keineswegs erst ein neueres Phänomen der «Verdrossenheit», sondern so alt wie Parteien selber. Rousseau war mit seiner Berufung auf den Allgemeinwillen weniger ein Vorläufer von Diktaturen als vielmehr ein Kind seiner Zeit. Parteien drückten, so dachte man weithin bis zum späten 18. Jahrhundert, egoistische Meinungen und Einzelinteressen aus, die dem Gemeinwohl bewusst schaden wollten. Demnach war nicht jeder, und mit gleichem Recht, «Partei» für etwas, sondern eine Minderheit von Parteilichen unterlief jene, die
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