Was ist Demokratie
Ständeversammlungen vor 1800 waren nach Zusammensetzung, Arbeitsweise und Funktion, und nicht zuletzt ihrer prinzipiellen Natur nach, weit von modernen Parlamenten entfernt. Aber sie kannten doch einige Rechte und Regeln, die in den Kernbestand des demokratischen Parlamentarismus übergegangen sind: Kein Präsident, kein Kabinett kann über Einnahmen und Ausgaben beschlieÃen. In der parlamentarischen Kultur ist deshalb die Haushaltsdebatte bis heute ein symbolischer Höhepunkt und Anlass für Grundsatzdebatten zwischen Regierung und Opposition. Das wurzelt in dem von den Ständen früher beanspruchten Recht gegenüber dem König, neue Steuern zu bewilligen. Im Absolutismus versuchten die Herrscher, wie Frankreichs Ludwig XIV. oder der preuÃische «GroÃe Kurfürst» Friedrich Wilhelm, die Ständeversammlungen zu umgehen und zu entmachten. Am Ende des 18. Jahrhunderts jedoch lebten sie in vielen Staaten und Regionen wieder auf â auch in Frankreich, wo 1789 aus den Generalständen das revolutionäre Parlament hervorging. In Deutschland waren die Ãbergänge komplizierter. Aber die frühliberale Theorie am Beginn des 19. Jahrhunderts nahm mit ihrer Forderung nach einer Vertretung des Landes und Volkes «gegenüber» der Monarchie und ihrem bürokratischen Apparat ein wichtiges Motiv der ständischen Tradition auf. Das erste moderne deutsche Parlament, die Zweite Kammer des GroÃherzogtums Baden, hieà seit 1818 «Ständeversammlung», obwohl es erstmals eine reine Vertretung des Volkes war.
Eine wichtige Antwort auf die Frage nach dem Warum von Repräsentation und Parlament muss also lauten: weil Demokratien eine vordemokratischeInstitution aufgegriffen und für ihre Zwecke umgeformt haben. Umgekehrt heiÃt das: Der Parlamentarismus ist eine der wichtigsten Wurzeln der modernen Demokratie, in England die wichtigste überhaupt. Dennoch schwingt in der Frage etwas anderes mit, nämlich mögliche Alternativen demokratischer Ordnung, die ohne den «Umweg» der Repräsentation auskommen, indem sie dem Volk die direkte Entscheidungsgewalt überlassen: also verschiedene Formen der direkten oder plebiszitären Demokratie, die in Volksversammlungen bzw. durch Volksabstimmungen ausgeübt wird. Die historische Tradition solcher Demokratie vor dem 19. Jahrhundert ist gebrochener und sporadischer als die der repräsentativ-parlamentarischen. Als Demokratie in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein neues groÃes Thema wurde, war die antike Demokratie der attischen Polis immer noch das mit Abstand wichtigste Beispiel für die direkte Herrschaft des Volkes, in ihren Vorzügen wie in ihren Nachteilen; daneben wurde noch auf die Schweiz verwiesen.
Dennoch meinte der Begriff «Demokratie» in der politischen Theorie im späteren 18.Jahrhundert oft die direkte Demokratie, nicht die repräsentative. Rousseau definierte Demokratie 1762 so, dass das ganze Volk, oder doch seine Mehrheit, Regierungsverantwortung trug: Die Mehrheit der Bürger übte ein politisches Amt aus, statt bloà Privatmensch zu sein. Madison verstand 1787 «reine Demokratie» als eine kleinräumige Gesellschaft aus wenigen Bürgern, die sich persönlich versammeln, um die Regierungsangelegenheiten zu regeln. Montesquieu dagegen ging schon 1748 davon aus, dass eine politische Beteiligung des ganzen Volkes nicht unmittelbar ausgeübt werden könne, sondern der Wahlen und Vertretungskörperschaften bedürfe. Um 1800 hatte sich die Auffassung weithin durchgesetzt, dass Demokratie und Repräsentation jedenfalls keinen Gegensatz bildeten; zumindest aus praktischen Erwägungen war eine repräsentative Demokratie sogar vorzuziehen. Das war nicht nur das Ergebnis eines Theoriestreits, sondern mehr noch der konkreten Erfahrungen mit der revolutionär-demokratischen Kraft der neuen Parlamente in Nordamerika und Frankreich.
Das wichtigste pragmatische Argument für eine repräsentative und gegen die direkte Demokratie bezog sich auf GröÃe und Bevölkerungszahl: In kleinen politischen Gebilden wie einzelnen Städten oder den Dörfern eines Gebirgstales sei die Versammlung aller Bürger wohl möglich, aber nicht mehr in Nationen mit vielen Millionen Einwohnern â Frankreich hatte schon 1750 die 25-Millionen-Marke überschritten â oder mit geradezu kontinentalen Ansprüchen wie den USA.Dieses
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