Was ist Demokratie
einen Konsens zum Wohle des Volkes, unter vermeintlich objektiven oder neutralen Gesichtspunkten, erstrebten. In Deutschland hat diese Form der Parteienfeindschaft die politische Kultur der Weimarer Republik geprägt und beschädigt. Man hat in ihr später, nach 1945, einen Ausdruck generell mangelnder Konfliktfähigkeit der Deutschen gesehen, eines gefährlichen Harmoniestrebens. Deshalb hat das Grundgesetz (im Art.21, Abs. 1) die Parteien ausdrücklich anerkannt: Sie gehören nicht ins Vorfeld der Demokratie, sondern sind deren wesentlicher Bestandteil â sie «wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit». Sie sind aber keine Staatsinstitutionen, denn wo der Unterschied zwischen Staat und Partei eingeebnet wurde, wie in vielen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, blieb die Demokratie auf der Strecke.
Wenn man die Differenz von Staat und Partei besonders scharf betont, gelangt man â wie die Partei der Grünen zumal in ihrer Gründungsphase â zur Forderung nach der Trennung von «Amt und Mandat», also von Funktion in der Partei und gleichzeitigem Abgeordnetenmandat (im weiteren Sinne dann auch: Regierungsfunktion, z.B. als Minister). Zugleich müssen Parteien «demokratische Parteien» in einem doppelten Sinne sein: Einerseits müssen sie (so erklärt Art. 21 GG weiter) im Innern demokratisch organisiert sein; einen Parteidiktator kann es (offiziell) nicht geben. Aus der Erfahrung des Aufstiegs der NSDAP hat das Grundgesetz aber eine weitere Folgerung gezogen: Parteien in Deutschland müssen sich in ihren Zielen zur demokratischen Verfassung des Grundgesetzes bekennen bzw. diese nicht zu beseitigen trachten (Art. 21, Abs. 2 GG). Auf dieser Grundlage sind in den 1950erJahren zwei Parteien verboten worden: die neonazistische «Sozialistische Reichspartei» 1952 und, schon damals sehr umstritten, die KPD 1956. Die lange Diskussion um ein Verbot der NPD zeigt, dass dieser Weg zwar prinzipiell zustimmungs- und mehrheitsfähig ist, der Schutz der Demokratie aber anderswo ansetzen muss: weit vor der formalen Existenzberechtigung einer demokratiefeindlichen Organisation, etwa in politischer Bildung und pädagogischer Jugendarbeit.
Gegenüber diesen Grundsatzfragen treten die vielfältigen Erscheinungsformen von Parteien und Parteiensystemen, im historischen und internationalen Vergleich, eher in den Hintergrund. In England und den USA haben sich über viele Jahrhunderte nur zwei Parteien gegenübergestanden, jedenfalls in der parlamentarischen Vertretung und begünstigt durch ein entsprechendes Wahlrecht. In Kontinentaleuropa überwiegen Mehrparteiensysteme, die phasenweise zum Zweiparteiensystem tendieren können: so wie in der Bundesrepublik in den 60er und 70er Jahren, als Union und SPD zusammen etwa 90 Prozent der Stimmen auf sich vereinten; oder wie noch gegenwärtig in der relativ jungen Demokratie Spaniens. Historisch hat jedoch eine Vierteilung dominiert: Liberale, Sozialisten, Konservative; dazu oft katholische Parteien oder später Christdemokraten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zielten politische Parteien überhaupt oft auf einen bestimmten Teil der Bevölkerung: als Konfessionspartei, als Klassenpartei (wie die alte Sozialdemokratie); immer wieder auch, und bis heute, als regionale Parteien bzw. Parteien ethnischer oder sprachlicher Minderheiten, wie die Schottische Nationalpartei. In Deutschland spiegelte das Parteiensystem zwischen 1870 und 1933 sehr rigide solche gesellschaftlichen Zerklüftungen oder Inseln; seit den 1960er Jahren lösen sich diese «Milieus» wie das katholische oder das Arbeitermilieu rapide auf. Besonders die groÃen Parteien verstehen sich als «Volksparteien»: Sie beanspruchen, alle Teile der Bevölkerung anzusprechen. Parteibindung und Wahlverhalten haben sich von der gesellschaftlichen Position abgelöst: Auch Arbeiter wählen die CDU und Christen die SPD.
So ist das Parteiensystem, besonders im kontinentalen Europa, in den letzten Jahrzehnten erheblich im Wandel. In Italien sind die Parteien der Nachkriegszeit Anfang der 1990er Jahre sogar vollkommen zusammengebrochen und in wesentlich labilerer Form neu erstanden. Dort wie auch in Frankreich, Belgien und anderswo haben rechte, populistische Bewegungen und Parteien groÃe Erfolge erzielt. Demgegenüber ist die deutsche Parteienlandschaft in vergleichsweise langsamem,evolutionären
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